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Die Brut des Bösen - Graham, P: Brut des Bösen - L'Apocalypse selon Marie

Titel: Die Brut des Bösen - Graham, P: Brut des Bösen - L'Apocalypse selon Marie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patrick Graham
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zu senden, welcher der Sache ein Ende bereitet. Der junge Wolf, der schon zum Sprung angesetzt hat, weicht knurrend zurück, als habe man ihm einen kräftigen Schlag auf die Nase versetzt. Neera schickt ihm drohende Botschaften, gestaltet seine Erinnerungen um, löscht das Bild des Leitwolfs aus, der Rak die Kehle durchbeißt, und ersetzt es durch ein anderes, bei dem der alte Wolf seine Gefährtin gegen die drei in der Rangordnung am weitesten unten stehenden Rüden des Rudels verteidigt. Mit entsetzlichem Wutgeheul stürzt sich Rumelk auf diese drei. Für den ersten kommt der Angriff völlig überraschend, und bevor er reagieren kann, hat ihm Rumelk das Genick durchgebissen.
    Der alte Leitwolf legt sich auf den Boden. Mit blutbedecktem Fell hat Rumelk soeben den letzten der drei getötet. Jetzt stürzt er mit wildem Geheul ins Unterholz. Neera will, dass er sich im Herzen des Waldes verirrt. Das Tier hat dem Druck nicht standgehalten. Halb verrückt und vollständig orientierungslos wird es sich in irgendeinen Schlupfwinkel zurückziehen und dort vor Hunger und Durst umkommen.
    Rak hat den Geist aufgegeben. Die einst leuchtende Kugel besteht jetzt nur noch aus Asche. Ein Faden steigt aus ihr auf und erhebt sich hoch in die feuchte Luft. Neera lässt das Wesen gewähren. Ihr ist klar, dass sie es nicht töten kann und es in diesem Wald, in dem es von Lebewesen wimmelt, schon bald in anderer Gestalt wieder auftauchen wird. Ihr Geist löst sich aus Raks Gehirn. Mit letzter
Kraft sucht ihre Wesenheit zwischen den stark duftenden Farnkräutern und den niedrig hängenden Zweigen ihren Körper auf, den sie von fern in Ekos Armen sieht. Das Geheul der Wölfe hat ihre anderen Leibwächter geweckt. Sie bilden mit ihren Lanzen einen Kreis und haben das Feuer wieder entfacht, dessen Widerschein auf den Baumstämmen tanzt.
    Neera nimmt ihre Hülle wieder in Besitz. Sie schlägt die Augen auf. Eko sieht sie an. Er lächelt.
    »Lelzelz morlz, Ekos.«
    »Hat säy Neeras. Lelzelz mook.«
    Eko streicht ihr mit der Hand über die Stirn. Sie lässt den Bernsteinanhänger an ihrem Hals los, sodass er wieder auf ihrer Haut zu liegen kommt.
    »Neeras mellz horm. Neeras lelz nor.«
    Eko hat recht. Neera ist erschöpft. In den kräftigen Armen des Jägers, die sie umfangen halten, schließt sie die Augen, im Bewusstsein dessen, dass sie dort sicher ist, und schläft bald darauf tief und fest.

19
    Das Knistern des Feuers erstirbt allmählich. Der Geruch der hohen Bäume und der Farnkräuter wird schwächer. Nach und nach taucht Walls aus seiner Trance auf. Aus dem Monolithen sieht ihn die Mumie mit ihren von Raureif bedeckten Augen an. In seinem Inneren spürt er eine Trauer, die noch stärker ist als der Kummer, den er als Dreizehnjähriger beim Krebstod seiner Mutter empfunden hatte. Diese Trauer ist so alt wie die Welt, und es kommt ihm vor, als breite sich alles Leiden der Menschheit in seinen Adern aus. Unvermittelt treten ihm Tränen des Mitgefühls in die Augen. Er unternimmt keinen Versuch, sie
zurückzuhalten. Seine Lippen beben. Ekos Herz schlägt wild in seiner Brust. Mit den Fingernägeln kratzt er an dem Eis, während eine dunkle und wohlklingende Stimme aus seiner Kehle dringt und sich mit seiner eigenen vermengt.
    »Neeras nalz mellz horm. Neeras morlz. Elzo em Neera,.«
    So ruhte Neera, die letzte Aïkan der Mondleute, seit grauer Vorzeit hier. Walls spürt, wie seine Finger durch die Oberfläche des Monolithen in die gefrorene Masse eindringen. Es kommt ihm vor, als glänzten Tränen in den Augen der Mumie. Neera lächelt ihm zu. Sie erkennt ihn. Walls’ Finger dringen tiefer ins Innere des Eisklotzes ein, der sich um seine Handgelenke und Unterarme schließt. Jetzt berühren seine Hände die der Mumie. Ihre Haut ist warm. Er spürt, wie Neeras Geist in seinen übergeht. Sie ist glücklich. Sie hat Eko wiedergefunden. Sie vereinigen ihre Kräfte. Sie wissen, dass sich die Große Heimsuchung, gegen die sie damals gekämpft hatten, erneut nähert. Deshalb ist Walls in die Tiefen der Erde geschickt worden: um sich zu erinnern.
    Er steht aufrecht vor dem Monolithen, dessen Licht jetzt erloschen ist. Neera hat die Augen geschlossen. Sie ist nichts mehr als eine dunkle Gestalt, die mitten im Eis sitzt. Walls richtet den Blick auf die Bernsteinperle, die jetzt auf seiner Handfläche schimmert. Er wendet sich um und geht davon, ersteigt Stufe um Stufe die ungeheure Steintreppe, die an den Wänden entlang bis zur fernen Spitze der

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