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Die Brut des Bösen - Graham, P: Brut des Bösen - L'Apocalypse selon Marie

Titel: Die Brut des Bösen - Graham, P: Brut des Bösen - L'Apocalypse selon Marie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patrick Graham
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in eine Art Parabolantenne. Ja, genau das war es, das war das richtige Bild. Und in jenem Augenblick hatte Gordon begriffen, dass er nicht die Stimmen von Menschen hörte, sondern ihre Gedanken. Ein Gewirr von Lauten, das von überall her zu ihm drang und die Atmosphäre erfüllte wie das Zirpen von Zikaden. Die Gedanken Vorübergehender oder die von Händlern, von Kindern auf dem Schulweg, die Gedanken der Welt.
    An jenem Tag war er nicht zur Schule gegangen, sondern von morgens bis abends durch die Straßen gezogen, um die Gedanken der Menschen zu erlauschen, ihre Geheimnisse einzufangen, ihre Flüche, ihre Gebete und manches andere, das zu begreifen er noch viel zu jung war. All das war ihm ins Gedächtnis zurückgekehrt, während er durch die Wüste zog. Das, und der Verlust des Großvaters. Eine Woche nach ihrem gemeinsamen Ausflug waren die Eltern mit trauriger Miene in sein Zimmer gekommen. Die Mutter hatte ihn in die Arme genommen und ihm zugeflüstert, Opa sei in ein Koma gefallen, aus dem er vermutlich nie wieder erwachen werde. Gordon hatte versucht zu weinen, aber die Tränen waren erst sehr viel später gekommen, als er mit seinem Kummer allein war.
    Als er an jenem Morgen die Fensterläden aufgestoßen hatte, um den Gedanken der Welt zu lauschen, hatte er gemerkt, dass er nichts mehr hörte und alles wieder dieselbe Farbe und denselben Geschmack hatte wie vorher. Nach und nach hatte er dann den Großvater, das Wasser der Ströme, die auf der Oberfläche des Pearl River tanzenden Spiegelungen des Sonnenlichts ebenso vergessen wie das geheimnisvolle Ballett der Kunststoff-Fliegen
und den Geschmack auf einem heißen Stein gebratener Forellen.
    Außer diesen Erinnerungen, Geschmäcken, Gerüchen und Farben hatte Walls in den Tiefen der Mesa auch seine verloren gegangene Fähigkeit wiedergefunden. Gemerkt hatte er das, als die Sonne im Begriff stand, auf die andere Seite des Himmels zu wechseln. Er war auf einem staubigen Weg in Richtung Camargo gezogen, als er mit einem Mal Motorengeräusch gehört hatte. Als er sich umdrehte, sah er einen klapprigen alten Kleinlaster, der, eine Staubwolke hinter sich herziehend, auf ihn zukam. Der Fahrer, der ihn einsteigen ließ, war ein Kleinbauer mit Namen Fernando. Kaum hatte sich Walls neben ihn gesetzt, als er dessen Gedanken zu empfangen begann. Während der Fahrer berichtete, dass er auf dem Weg zu seinem Vetter Almeiro sei, der in San Esteban Hühner züchtete, dachte er Gott im Himmel, Fernando, dass ausgerechnet du den Kerl entdeckt hast, ist mehr als Glück, es ist ein Wunder . Während er weitersprach und erklärte, der Vetter habe Ärger mit den Hühnern – ein Virus – dachte er, dass die Jahre der Schinderei vorüber seien und er endlich einen richtigen Bauernhof fern von dieser fürchterlichen Wüste würde kaufen können. Schluss mit den ewigen Maisfladen und dem Agavenschnaps pulque , Schluss mit den dreckigen Weibern und ihren wabbeligen Brüsten. Er würde sich weiße Frauen leisten können, mit durchsichtiger Unterwäsche wie in den bunten Illustrierten. Er sagte, Almeiro habe ihn gebeten, schnell zu kommen, damit sie die unter den Hühnern wütende Krankheit möglichst daran hindern könnten, sich weiter auszubreiten, und er hoffe, dass es sich dabei nicht um Vogelgrippe handle. In Wahrheit war er davon überzeugt, dass es genau das war, und während er Walls mit Worten überschüttete, überlegte er, dass sie bestimmt ein paar hundert würden töten und die übrigen an die Genossenschaft
verkaufen müssen, bevor die Tatsachen bekannt wurden. Während all der Zeit hatte Fernando in erster Linie an die Männer in Schwarz gedacht, die auf der Suche nach einem gringo namens Walls die Wüste durchstreiften. Sie sahen aus wie Totschläger und boten dem, der Walls als Erster meldete, eine Belohnung von zehntausend Dollar. Der Form halber hatte Fernando sie gefragt, ob es sich um einen flüchtigen Mörder oder dergleichen handele. Der Blick, mit dem ihn einer der Männer daraufhin aus seinen großen Augen angesehen hatte, war ihm schmerzhaft wie ein Bohrer durch den Kopf gegangen. Es war ihm so vorgekommen, als wühle der Mann mit den Fingern in seinen Gedanken herum. Daraufhin war Fernando zu dem Ergebnis gekommen, dass es besser war, es sich auf keinen Fall mit diesen Leuten zu verderben. Er wollte sie aus einer Telefonzelle anrufen. Sie hatten ihm eine Nummer gegeben, unter der sie jederzeit erreichbar seien, aber Fernando war es lieber, sie tagsüber

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