Die Brut des Bösen - Graham, P: Brut des Bösen - L'Apocalypse selon Marie
öffnet die Augen und trifft auf den toten Blick Akimas. Sie lächelt nicht mehr.
»Lassen Sie mich raten. Sie haben gerade das Spiegelbild einer nackten Halbwüchsigen erkannt. Sie ist dürr, voller Boshaftigkeit und hat Ihnen gesagt, Sie sollen verschwinden, oder dergleichen. Habe ich recht?«
»Ich habe in dem Spiegel viel Leid gesehen. Außerdem Wut.«
»Was war das? Die Fünfzig-Dollar-Sitzung der Wahrsagerin Akima? Kann man bei Ihnen mit der Kreditkarte bezahlen? Glauben Sie wirklich, dass ich mich eigens von Boston bis hierher durchgeschlagen habe, um ein Glas Zitronenlimonade zu trinken und mir durch die blinde Großmutter von Michael Jackson die Karten legen zu lassen?«
»Halt den Mund, Gardener. Ich spreche mit Parks.«
Akimas Stimme ist schneidend. Maria zwingt sich, langsam
zu atmen. Sie hat gesehen, wie ein Anflug von Trauer über das Gesicht der alten Schwarzen gelaufen ist. Sie ist fürchterlich wütend auf sich selbst.
»Das mit Michael Jackson tut mir leid. Ich weiß nicht, was in mich gefahren ist.«
Akima antwortet nicht. Sie ist tief in Gedanken versunken. Nachdem sie einen Schluck Limonade getrunken hat, richtet sie ihren toten Blick erneut auf Maria.
»Warum bist du gekommen?«
»Das war nicht ich, sondern mein Auto.«
»Das ist nicht die Antwort, die ich hören wollte.«
»Nein? Ist das eine Prüfung?«
»Ja, Maria. Wenn du sie bestehst, kannst du deinem Weg weiterhin folgen.«
»Und wenn nicht?«
»Dann bin ich gezwungen, dich zu töten.«
Maria begreift, dass es der Alten mit ihren Worten ernst ist. Offensichtlich hat sie die Macht dazu. Sie kann mit der bloßen Kraft ihrer Gedanken einen Gehirnschlag auslösen oder dafür sorgen, dass Marias Herz von einem Augenblick auf den anderen stehen bleibt.
»Ich bin gekommen, weil ich immer wieder von einem kleinen Mädchen träume. Es ist eine Afroamerikanerin, ganz wie Sie. Sie ist sehr jung und sehr schön. Sie trägt ein weißes Kleid. Es geht ihr nicht gut. Sie hat Angst. Sie ist in New Orleans.«
»Von der Stadt ist leider nicht viel übrig geblieben.«
»Sie hat sich wie die meisten Bewohner der Armenviertel in den Superdome geflüchtet.«
Akima lächelt wieder.
»Und weiter?«
»In meinen Visionen sitzt sie auf den Stufen der Zuschauerränge und sieht zu, wie es unaufhörlich regnet. Obdachlose suchen inmitten der Menge nach ihr. Drei
Männer in weißen Umhängen beschützen sie. Sie ruft nach mir. Sie braucht mich.«
»Sie heißt Holly Amber Habscomb. Was ihr geschehen ist, war nicht vorhergesehen. Sie ist für uns sehr wichtig.«
»Wer ist wir?«
Die Alte antwortet nicht. Sie ist tief in Gedanken versunken.
»Du hast gut geantwortet, Maria. Das genügt aber nicht. Damit ich dich weiterlasse, musst du mir sagen, wer ich bin.«
»Sie sind eine verdammte …«
»Ich habe die Frage an Parks gerichtet, nicht an Gardener.«
»Sie sind Akima. Eine blinde alte Frau, die Limonade trinkt. Sie wohnen in einem riesigen verwunschenen alten Haus, das zu unterhalten ein Vermögen kosten muss. Sie rauchen stinkende Zigarren, aber ich mag diesen Geruch.«
»Schön, hören wir jetzt auf zu spielen. Du musst mir sagen, wer ich wirklich bin.«
»Eine Verehrungswürdige.«
»Weißt du, was das heißt?«
»Ich habe von einer von Ihnen geträumt. Hezel, die dem als Friedhof bezeichneten Schiff entkommen ist. Ich habe geträumt, sie zu sein, vor zweihundert Jahren, in der Siedlung von Old Haven. Ich glaube, sie war so eine, eine Verehrungswürdige, wollte ich sagen.«
»Damit ist meine Frage immer noch nicht beantwortet.«
Maria zittert. Die laue Luft um ihr Gesicht wird kälter. Es sieht so aus, als ob sich Akimas Züge langsam verwandelten. Sie streckt die Arme aus und nimmt Marias Hände in die ihren. Ihr Griff ist sehr viel fester als vorhin und erstaunlich kräftig.
4
Soeben ist die Maschine auf dem Flugplatz von Jackson gelandet. Walls strebt inmitten der anderen Fluggäste dem Ausgang entgegen. Während sie an ihm vorüberhasten, liest er ihre Gedanken. Sie sind in Eile, ungeduldig und erschöpft. Eine Frau im Kostüm kann es nicht abwarten, zu ihren Angehörigen zurückzukehren. Ein Mann im grauen Mantel neben ihr, mit einem Aktenkoffer in der Hand, ist traurig. Seine Tochter Rebecca verabscheut ihn wegen etwas, was er ihr als kleinem Mädchen angetan hat. Walls überläuft ein Schauder des Abscheus. Er stößt eine wasserstoffblonde und sehr schöne junge Frau an und entschuldigt sich. Sie wendet sich um und lächelt
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