Die Brut des Bösen - Graham, P: Brut des Bösen - L'Apocalypse selon Marie
gerissen und mit aller Kraft auf das Gas getreten. Wieder waren schwarze Wolken aus dem Auspuff gekommen, aber Maria hatte nicht nachgegeben und den Wagen mit aller Kraft gezwungen, in Richtung Süden
weiterzufahren. Kaum lag das letzte Schild hinter ihr, das die Richtung nach Raleigh anzeigte, war der Motor wieder einwandfrei gelaufen und hatte sich das Lenkrad mit der gewohnten Leichtigkeit drehen lassen. Das war einige Kilometer lang gut gegangen, doch nachdem sie die Grenze zum Staat South Carolina überquert hatte und die Abzweigung von Florence näher kam, war der Zirkus wieder losgegangen, nur dass diesmal auch die Anzeige der Kühlwassertemperatur in den roten Bereich gestiegen war. Maria hatte sich geschlagen gegeben und gesagt: »Na schön, mein Alter. Für den Augenblick sollst du deinen Willen haben, aber wenn du so weitermachst, kommst du auf den Schrottplatz, und ich kauf mir’nen Japaner.«
Sie hatte zugelassen, dass der Wagen nach rechts auf die Fernstraße 20 Richtung Atlanta fuhr, und sich dort in einem schmuddeligen Motel einquartiert. Am nächsten Tag hatte sie gegen Mittag die Grenze zum Staat Mississippi überquert. Irgendwo zwischen einem Kaff namens Alligator und einem anderen, das keinen Namen zu haben schien, hatte der Wagen erneut Ärger gemacht und sie gezwungen, an den Straßenrand zu fahren.
Jetzt tippt sie auf den Bildschirm ihres Navigationsgeräts, hebt den Kopf und lässt erneut den Blick über die in der Hitze wie erstarrt daliegende Landschaft gleiten. In der Ferne blitzen die Arme des Mississippi im Sonnenlicht. Kilometerweit sieht sie nichts außer Tabakpflanzen, deren große vergilbte Blätter in der leichten Brise schwingen, und zahllose staubige Schuppen, in denen die Blätter zu Büscheln gebunden zum Trocknen aufgehängt werden … Gelb, grün, Wind und roter Staub. Das muss ein Traum sein, dessen ist Maria sicher. Was hätte sie schließlich mitten im tiefsten Mississippi zu suchen?
Sie öffnet ihre Zigarettenpackung: Zwei sind noch darin. Eine davon steckt sie an.
»Na schön, alter Mistkarren. Und jetzt? Geradeaus? Rechts? Haha, reingefallen! Nach rechts geht nicht mal ein Feldweg! Was also? Nach links? Haha, wieder reingefallen, auch nach links geht …«
Maria gefriert das Blut in den Adern, als der Motor wie von selbst seidenweich zu laufen beginnt. In der Ferne sieht sie kaum wahrnehmbar einen Weg, der zwischen zwei Tabakfeldern hindurch zu einem alten Haus im Kolonialstil führt, das von Nebengebäuden umgeben ist. Eins davon ist eine Scheune mit rotem Dach. Ihre Hände umklammern das Lenkrad.
»Jetzt aber Schluss mit dem Unsinn. Bilde dir bloß nicht ein, dass ich mich darauf einlasse. Ich mach dir einen Vorschlag: Wir fahren nach Memphis zurück und pilgern zum Grab des großen Elvis. Du kriegst dann sogar’nen Ölwechsel, und ich lass dir die Chromleisten polieren. Das machen die nirgendwo besser als in Memphis im guten alten Staat Tennessee. Hörst du? Ich will von hier weg und in Memphis eine Portion scharf gewürzte Gambas essen.«
Ein Hämmern an der Scheibe lässt Maria zusammenfahren. Ein älterer Polizeibeamter mit schweißnassem Hemd steht neben dem Wagen. Sie hat ihn nicht kommen sehen. Betont langsam nimmt sie ihren Dienstausweis aus der Tasche und lässt das Fenster herunter.
»Haben Sie Schwierigkeiten?«
Die Stimme lässt sie zusammenzucken. Der Mann beugt sich vor. Seine faltige Miene und seine weißen Haarsträhnen füllen ihr ganzes Gesichtsfeld aus. Er trägt eine Brille mit großen getönten Gläsern und kaut einen Priem. Sie spürt, wie ihr das Herz in die Kehle steigt.
»Cayley?«
Der Mann spuckt einen braunen Strahl Tabaksaft in den Staub.
»Hier kenn ich keinen, der so heißt. Wir hatten da
mal’nen alten Hufschmied, aber der ist an gebrochenem Herzen gestorben, weil man jetzt mit Treckern statt mit Pferden pflügt. Das is aber … », wieder ein brauner Strahl Tabaksaft … », schon ziemlich lange her. Wenn ich mich richtig erinnere, hat der am andern Ufer gewohnt, einen Gewehrschuss von der Grenze nach Arkansas entfernt. Er war ein verfluchter Schwuler, der die Demokraten gewählt hat.«
Maria fährt zusammen.
»Das bist du doch, Cayley?«
»Ich sag es noch mal, ich kenn hier weit und breit keinen Cayley. Ich heiße Grant, wie der verdammte Schweinehund von Nordstaatengeneral. Eine Schande, dass man in dieser Gegend so heißt! Mein Vorname ist aber Sylvester, und ich bin Gehilfe des Sheriffs für den Kreis Coahoma im
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