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Die Brut des Bösen - Graham, P: Brut des Bösen - L'Apocalypse selon Marie

Titel: Die Brut des Bösen - Graham, P: Brut des Bösen - L'Apocalypse selon Marie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patrick Graham
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ihm zu. Während er ihr nachsieht, konzentriert er sich auf sie. Er ärgert sich ein wenig darüber, dass sie auf diese Weise in seinen Geist eingedrungen ist, aber er ist neugierig auf die Gedanken einer so hübschen jungen Frau. Er verzieht das Gesicht. Aus ihrem Gehirn kommt Knistern und Rauschen. Ihr Gedächtnis ist nicht besonders gut, sie vergisst bereits Wörter. Seit einigen Wochen hat sie Kopfschmerzen, ihr wird schwindlig und übel. Anfangs glaubte sie, schwanger zu sein, dann nahm sie an, es gehe auf Überlastung zurück, doch die wahre Ursache ist ein dunkler Zellhaufen von der Größe eines Kirschkerns nahe ihrem Hypothalamus, der immer größer wird. Bald wird sie blind sein – von einem Augenblick auf den anderen, so wie bei einem Gewitter Sicherungen durchbrennen – dann wird sie nicht mehr sprechen und schließlich ihre Beine nicht mehr bewegen können. Walls drängt sich mit den Ellbogen durch die Menge. Er versucht, sie einzuholen.
    »Was tust du da, Gordon?«
    Er fährt zusammen, als er im Kopf die Stimme seines Großvaters hört.

    »Was heißt, was tust du da? Sie hat Krebs, verdammt noch mal.«
    »Pst, Gordon. Du brauchst nicht so laut zu sprechen, ich höre dich auch so. Du brauchst überhaupt nicht zu sprechen.«
    Walls sieht, wie sich die junge Frau immer mehr entfernt. Er beschleunigt den Schritt.
    »Sie wird sterben, Gordon. Sie weiß es nicht, aber sie ist so gut wie tot.«
    »Umso mehr Grund, es ihr zu sagen.«
    »Willst du wissen, was passiert, wenn du das tust?«
    »Nein.«
    »Zuerst wird sie dich für verrückt halten. Dann geht sie, nachdem sie die ganze Nacht nicht hat schlafen können, zum Arzt, der sie in die Röhre steckt und dabei den Tumor findet.«
    »Und dann?«
    »Die Behandlung wird nichts nützen, trotzdem wird sie ein halbes Jahr lang sterben. Zwar wird sie blind werden, taub, stumm und halb verrückt, aber sie wird leben. Wenn du ihr aber nichts sagst, wächst ihr Tumor im Lauf der nächsten zwei Monate einfach so weiter. Im Verlauf dieser beiden Monate wird sie einen jungen Mann namens Brett kennenlernen. Sie wird mit ihm ins Bett gehen, jeden Tag an derselben Bushaltestelle auf ihn warten und bei dem Gedanken innerlich zittern, dass er vielleicht nicht kommt. Und jedes Mal, wenn sie ihn sieht und sich ihm in die Arme wirft, wird ihr Herz Freudensprünge vollführen.«
    »Und was ist mit ihrem Krebs?«
    »In zwei Monaten wird sie blind aufwachen. Am Vorabend hat sie ein letztes Mal mit Brett geschlafen. Sie war ein letztes Mal im Restaurant und hat zum letzten Mal einen Film gesehen. Man wird sie in die Notaufnahme bringen und in die Röhre stecken. Angesichts der Größe,
die der Tumor inzwischen erreicht hat, wird man nicht den geringsten Versuch einer Therapie unternehmen. Man wird ihr Morphium geben und sie auf eine palliativmedizinische Abteilung bringen, wo sich bewundernswerte Menschen um sie kümmern werden. Brett und die anderen. Sie wird Zeit haben, deren Gegenwart zur Kenntnis zu nehmen, sie an ihrer Handcreme mit Kamillengeruch, dem nach Nikotin riechenden Atem oder der Liebkosung einer Hand auf ihrer Stirn wiederzuerkennen. Vierzehn Tage später wird sie dann die Augen schließen, ohne zu leiden.«
    »Kannst du auch in der Zukunft lesen?«
    »Alles, was ich weiß, ist, dass du nicht besser bist als der Tumor, der sie töten wird, wenn du sie jetzt einholst.«
    Walls betritt die Ankunftshalle. Er ist nur noch wenige Zentimeter von der jungen Frau entfernt. Er streckt den Arm aus, um sie an der Schulter zu berühren. Sie heißt Tracy. Er atmet den Geruch ihrer Haut ein und nimmt ihre Gedanken in sich auf. Sie ist glücklich. Während des Gehens wählt sie auf ih rem Mobiltelefon eine Nummer und sieht daher den jungen Mann nicht, der gerade aufmerksam die Anzeigetafeln studiert. Daher rempelt sie ihn an, wobei ihr Telefon zu Boden fällt. Er bückt sich im selben Augenblick wie sie. Sie stoßen leicht mit der Stirn aneinander, ihre Hände schließen sich gleichzeitig um das Telefon. Sie tauschen ein Lächeln. Walls sieht beide an. Wieder hört er die Stimme seines Großvaters: »Gordon, ich darf dir Brett vorstellen.«
    »Ich glaube, dass ich begriffen habe, Opa.«
    »Nein, verdammter Holzkopf. Du hast nichts begriffen, und dir bleibt auch keine Zeit mehr zu begreifen.«
    »Was soll das heißen?«
    »Hast du dich seit dem Aufbruch aus der Mesa gut unterhalten?«
    »Es ging nicht anders.«

    »Doch. Man löscht nicht die Erinnerungen von Menschen und

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