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Die Brut

Titel: Die Brut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thea Dorn
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unseren Sohn zurück … Seine Name ist Victor … Er ist ein Jahr alt … Bitte … Ich weiß nicht, warum Sie uns unseren Sohn weggenommen haben, aber ich bin sicher, Sie hatten einen Grund dafür. Sie waren wütend. Sie waren verzweifelt. Sie sahen keinen anderen Ausweg mehr.« Ihre Stimme war bei den letzten Worten fester geworden. »Was immer Ihre Gründe waren, ich verspreche Ihnen, ich werde versuchen, Sie zu begreifen. Ich werde Sie nicht verurteilen. Sie sind kein schlechter Mensch. Und ich werde alles in meiner Macht Stehende tun, dass auch die Polizei Sie nicht verurteilen wird. Sie sind kein schlechter Mensch. Erzählen Sie uns, warum Sie es getan haben. Wir werden Ihnen zuhören. Wir werden Sie verstehen. Bitte!« Tessas Stimme war wieder leiser geworden. »Tun Sie Victor nichts Schlimmes an … Er ist so ein … fröhliches Kind … Wenn Sie irgendwelche Forderungen haben, die wir erfüllen können, bitte, sagen Sie uns, was wir tun sollen … Wir werden alles tun, was Sie verlangen … Nur bitte … Bringen Sie uns Victor zurück … Bitte …«
    Tessa schlug die Hände vors Gesicht. Ihre Wangen waren feucht, sie musste die ganze Zeit geweint haben.
    »Danke«, hörte sie Bill sagen. Sie spürte eine schwache Berührung an der Schulter. Als sie die Augen öffnete, war es nicht Sebastian, sondern die Polizeipsychologin.
    »Das haben Sie sehr gut gemacht.«
    Auch Kommissar Kramer nickte ihr anerkennend zu, als habe er jetzt erst begriffen, mit was für einer Frau er es zu tun hatte.
    Sebastian stand am Fenster und starrte nach draußen. Die Sonne brannte noch immer vom Himmel. In einer Stunde kamen die großen Abendnachrichten.
    »Tessa?«
    Es war kurz vor vier. Um Mitternacht hatte sie sich ins obere Stockwerk zurückgezogen. Sie hatte es nicht länger ausgehalten, neben Sebastian auf dem Sofa zu sitzen, manchmal schmerzhaft aneinander geklammert, die meiste Zeit jeder für sich, stumm, und das Telefon anzustarren. Zweimal hatten sie sich Tessas Appell im Fernsehen angeschaut. Dann hatte sie es auch im Bett nicht mehr ausgehalten, war aufgestanden, die Treppe hinunter und am Sofa vorbei zum Fahrstuhl geschlichen.
    »Wo willst du hin?« Sebastian richtete sich auf. Im Wohnbereich brannte nur eine Lampe. Tessa hatte gehofft, er wäre eingeschlafen.
    »Ich muss Patricias Katze füttern.«
    »Patricias Katze?«
    »Unsere Nachbarin.« Tessa wusste nicht, warum sie flüsterte. Mara Stein verbrachte die Nacht in Sebastians Arbeitszimmer. Kommissar Kramer hatte sich nach der Aufzeichnung verabschiedet. »Patricia ist in Indien. Sie hat mich gebeten, ihre Katze zu füttern.«
    »Hat die für so was kein Personal?«
    »Sie traut der Putzfrau nicht.«
    Sebastian kam zum Fahrstuhl. Er fasste nach Tessas Hand, in der sie die beiden Fahrstuhlschlüssel hielt.
    »Ich mach das.« Seine Hand war kalt und feucht.
    »Du weißt doch gar nicht, wo die Sachen stehen.« Tessa legte ihm die Hand auf die Stirn. Sie war ebenfalls feucht. »Willst du nicht versuchen, ein wenig zu schlafen?«
    Sebastian drückte seine Stirn fester gegen ihre Hand. »Ich kann es nicht glauben. Ich will die ganze Zeit in Victors Zimmer rennen. Ich kann nicht glauben, dass er nicht in seinem Bett liegt.«
    »Sebastian.«
    »Wäre ich hier gewesen, wäre das alles nicht passiert.«
    »Es hilft nichts, wenn du dir Vorwürfe machst.«
    Er trat einen Schritt zurück. In seinen Augen lag eine noch nie gesehene Verzweiflung. »Warum bist du so früh mit ihm in den Wald? Ich habe dir immer gesagt, es ist ein Leichtsinn, dass du mit ihm da mutterseelenallein rumläufst.«
    »Willst du mir jetzt die Schuld geben?«
    »Entschuldige.« Sebastian zog Tessas Hände an seinen Mund und küsste sie. »Entschuldige«, murmelte er wieder und immer wieder. »Bestimmt geht es Victor gut. Bald ist er wieder bei uns. Der … der Entführer wird sich jetzt bestimmt bald melden. Es hilft mir, dass du so tapfer bist.«
    Sie standen eine Weile schweigend. Sebastian schluchzte in ihre Hände wie ein Kind, das sich die Knie aufgeschlagen hatte.
    »Leg dich hin.« Vorsichtig streichelte sie über seinen Kopf. »Ich bin gleich wieder zurück.«
    Sie ließ ihn im Halbdunkel stehen. Eine dicke Haarsträhne war ihm ins Gesicht gefallen. Gern hätte sie ihm die Strähne zurückgestrichen, aber da schlossen sich schon die Türen, und der Fahrstuhl fuhr mit leisem Geräusch nach unten.
    Patricia Montabaurs Apartment hatte denselben Grundriss wie ihres, nur dass es keine Galerie und

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