Die Brut
keine Treppe gab. Die Sitzgruppe aus hellem Leder, ganz ähnlich derjenigen, die bei ihnen an dieser Stelle stand, leuchtete im Mondlicht. Ein Zitronenbaum warf seine Schatten auf den hellen Parkettboden. In der Ecke war der lange Schreibtisch, Computer, Flachbildschirm, Drucker, alles vom Neusten. Tessa lauschte. Wo war die Katze? In den letzten Tagen hatte sie stets vor dem Fahrstuhl gesessen und sie erwartet, wenn sie hinuntergekommen war. Das einzige Geräusch, das sie jetzt hörte, war das Brummen des Kühlschranks. Tessa berührte den Lichtschalter links neben dem Fahrstuhl.
Sollte sie die Katze suchen? Es war egal. Sicher lag das Tier in irgendeiner Ecke und schlief. Sie war heute fast zehn Stunden später dran als gewöhnlich.
Als sie um die Ecke zu der halbdunklen Küche bog, sah sie sogleich, dass die Katze nichts von dem Trockenfutter, das sie ihr gestern in den Napf geschüttet hatte, angerührt hatte. Der Edelstahlnapf mit dem Wasser hingegen war leer. Vielleicht war doch etwas nicht in Ordnung. Sollte sie die Katze rufen? Sie hatte ihren Namen vergessen. Bengali? Bangladesh? Bischof? Irgend etwas mit »B« war es gewesen.
Sie würde die Katze nicht rufen. Wenn sie tatsächlich schlief und dadurch wach wurde, hatte sie sicher schlechte Laune. Sie würde einfach das Wasser auffüllen und das Trockenfutter wegschütten. Patricia hatte ihr gesagt, es könne vorkommen, dass die Katze nach einer Weile das Trockenfutter verweigerte. In diesem Fall solle sie ihr einfach ein paar Tage Feuchtfutter geben.
Tessa öffnete den ersten Küchenschrank. Teller, Tassen, Gläser. Patricia hatte ihr gezeigt, in welchem Schrank die Dosen mit dem Katzenfutter standen, sie konnte sich nicht mehr erinnern. Bestimmt waren sie in einem der unteren Schränke. Katzenfutter würde man in keinem oberen Schrank aufbewahren. Tessa bückte sich. Der Mond zeichnete einen schmalen Streifen auf den schwarzen Kachelboden. Ihr Blick wanderte zu dem Kühlschrank, der am Ende der Küchenzeile im Dunkeln lag.
Töpfe, Pfannen. Putzzeug.
Verdammt, das gibt’s doch nicht
. Sie konnte nicht die ganze Nacht nach dem blöden Katzenfutter suchen. Tessas Rücken schmerzte. Sie richtete sich auf. Vielleicht sollte sie einen Schluck Wasser trinken. Sie hatte fast nichts getrunken heute. Tessa ging zur Spüle. Bestimmt hatte Patricia Mineralwasser im Kühlschrank. Die Stadtwerke behaupteten zwar, die Qualität des Leitungswassers sei trotz der Hitze hervorragend, aber Mineralwasser war ihr lieber. Sie streckte den Arm aus, um die Kühlschranktür zu öffnen. Und sprang mit einem Schrei zurück. Unten am Boden saß die Katze und starrte sie an.
»Gott, hast du mich erschreckt.«
Die Katze rührte sich nicht.
»Was soll denn das? Einfach so in der Ecke hocken.«
Die Katze zog ihre Augen zu Schlitzen zusammen.
»Hast du Hunger? Ja. Natürlich hast du Hunger. Wart, gleich kriegst du was Feines.«
Tessa ging zu dem Napf mit dem Trockenfutter und schüttete alles in den Müll.
»Das Zeug ist nicht besonders lecker, was?«
Tessa bekam eine Gänsehaut, als die Katze mit den Krallen über die Küchenfliesen kratzte. »Welche Sorte magst du denn am liebsten, mmh?« Es würde helfen, wenn sie die Katze mit Namen ansprach, aber sie konnte sich beim besten Willen nicht erinnern. Endlich hatte sie die richtige Tür gefunden. Dosen und Alutöpfchen waren in mehreren Türmen ordentlich gestapelt.
Sensitive mit purem Huhn
, entzifferte Tessa in dem schlechten Licht.
Feine Seelachshäppchen in milder Sauce
.
Kalb Kaninchen mit extra Joghurt.
Sie war überrascht, wie viele Sorten Katzenfutter es gab.
»Na, was magst du denn am liebsten?«
Die Katze hatte sich noch immer nicht aus ihrem Winkel herausbewegt. Sebastian würde sich bald fragen, wo sie so lange blieb. Sie musste einen lockeren Ton finden. Die Katze spürte es, wenn sie sich verkrampfte. Tessa holte ein Töpfchen
Kalb Kaninchen
aus dem Regal.
»Magst du das? Ist das fein?«
Vorsichtig ging Tessa auf die Katze zu, das Alutöpfchen in der einen Hand. Sie sollte die Katze streicheln. Katzen wollten gestreichelt werden. Bevor Tessa die freie Hand genügend ausgestreckt hatte, um die Katze zu berühren, hatte diese sie gekratzt.
Au!
Beinahe wäre sie auf den Hintern gefallen. Was war los mit dem Tier? Die ganze Zeit hatte es keine Scherereien gemacht. Tessa riss die Packung
Kalb Kaninchen
auf, löffelte das Gelee mit den gräulich-bräunlichen Fleischwürfeln in den geleerten Napf, stellte ihn
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