Die Brut
hielt, was immer auch geschah. Der Clown mit weißen Handschuhen. Die Kapelle spielte auf. Es piepte, klopfte, wummte und summte. Da. Ein Trommelwirbel. Ihr Herz? Tessa glaubte ein
Können wir?
gehört zu haben. Der Magier, der sie gleich zersägen würde, schaute den Magier, der ihren Unterleib weggezaubert hatte, an. Der Magier, der ihren Unterleib weggezaubert hatte, nickte. Hinter dem grünen Tuch wurden Geräte ergriffen. Scharfe Geräte. Geräte, die Tessa nicht sehen konnte. Geräte, die metallische Geräusche machten, wenn sie auf ihre Tabletts zurückgelegt wurden. Ein Geruch. Süß. Schwer. Verfaulte Bonbons. Der Clown presste fester ihre Hand. Ein unbestimmter Druck wuchs in ihrem Unterleib.
Phantomschmerz
.
Du hast keinen Unterleib mehr. Du bist gefühllos
.
Die Kapelle spielte einen schrillen Tusch. Der Magier, der ihren Unterleib weggezaubert hatte, drückte auf eine der Scheiben, die an ihrem Brustkorb klebten. Tusch vorbei. Der Clown schwitzte unter seiner Maske. Tessas Hand schwitzte in seiner weißen Handschuhhand.
»Gleich, gleich ist es vorbei. Gleich, gleich.«
Tessa hätte dem Clown gern gesagt, dass er still sein musste, dass niemand reden durfte, während der große Magier schnitt. Sie traute sich nicht, den Mund zu öffnen.
»Gleich … gleich …«
Sie spürte einen Ruck in ihrem Unterleib, der doch gar nicht mehr da war. Schweiß. Schweiß. Die Handschuhhand schwamm in ihrer Hand. Das unangenehm mehlige Gefühl von Latex. Etwas geschah, das konnte sie spüren, sie wollte den Vorhang wegreißen, wollte sehen, was der große Magier mit ihr tat. Grün, grün, es tanzte vor ihren Augen, würde sie jemals wieder grün sehen können,
ich darf das
, wollte sie schreien,
lasst mich hinschauen, es ist meine Zaubernummer!
Die Hand, an der die weiße Wäscheklammer befestigt war, griff nach dem Tuch, wollte zerren, aber eine fremde Handschuhhand von der anderen Seite des Vorhangs tauchte auf, hielt ihr Handgelenk, hinterließ einen roten Abdruck.
Rot!
Auf der anderen Seite des Vorhangs herrschte längst nicht mehr grün, sondern rot.
Lasst mich hinschauen!
Ihre Augen rasten, suchten, flatternde Lider.
Lasst mich sehen!
Und dann hörte alles, was bislang gewesen war, auf. Von der anderen Seite des Vorhangs ertönte ein Schrei. Tessas Kopf schnellte in die Höhe. Ein Schrei. Kräftig. Unvorstellbar. Unmöglich konnte ein gesundes Kind solche Kraft in den Lungen haben. Etwas war nicht in Ordnung. Etwas –
Ein Maske tauchte neben dem Vorhang auf, das grüne Kostüm besudelt. Der Magier war in Wahrheit ein Metzger.
»Ich gratuliere.«
Die Maske lächelte. In ihren Armen hielt sie ein violettes Bündel, weißlich verschmiert, das zuckte, strampelte, schrie. Tessa konnte die Tränen nicht länger zurückhalten. Die Akrobatin weinte, als sei es das letzte Kunststück, das sie noch vollbringen musste.
Alles war gut. Alles war in Ordnung. Die Zaubernummer hatte geklappt. Ihre Zaubernummer
.
Aus verschwommenen Augenwinkeln sah sie, wie auch der Clown zu weinen anfing.
»Ich gratuliere«, sagte die Maske zum zweiten Mal, und jetzt erst erkannte Tessa die Hebamme. »Ihr habt einen Sohn.«
Teil 2
6
Tessa Simon total happy im Familienglück
TV-Moderatorin Tessa Simon ist so glücklich wie noch nie in ihrem Leben. Nach der Geburt von Victor Liam per Kaiserschnitt vor zehn Tagen hat die erfolgreiche Talkmasterin nur noch ein Ziel: »Ich will keine gute Mutter sein«, sagte die 34-Jährige gestern, als sie aus der renommierten Becker-Klinik entlassen wurde. »Ich will die beste Mutter sein.«
Auf die Frage, wie sie sich fühle, antwortete Simon: »Danke, großartig. Ich bin noch nie glücklicher gewesen. Victor ist ein Wunder. Ich liebe ihn unendlich.«
Sie dankte dem Klinikpersonal und Sebastian Waldenfels, ihrem Lebenspartner, der während des Kaiserschnitts ihre Hand gehalten hat. Ihn kennen gelernt und dann das Kind zur Welt gebracht zu haben, seien die beiden wichtigsten Dinge in ihrem Leben. Dennoch hat Simon fest vor, im September ihre wöchentliche Sendung Auf der Couch
wieder zu moderieren.
Alle wichtigen Blätter hatten von Victors Geburt berichtet. Aber diesen Artikel mochte Tessa am meisten. Seite eins im Gesellschaftsteil. Flankiert von einem riesigen Foto. Ursprünglich hatte sie überlegt, die Rechte an dem Bild, auf dem sie gemeinsam mit Victor und Sebastian vor den Eingangsstufen der Klinik stand, exklusiv zu verkaufen. Aber es hatte keinen Sinn gehabt, mit Sebastian über
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