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Die Brut

Titel: Die Brut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thea Dorn
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dieses Thema zu reden. Ihm wäre es am liebsten gewesen, niemand hätte über ihr Familienglück berichtet. Mit einem Lächeln legte Tessa den Artikel zu den anderen neunzehn zurück und schloss die Schublade.
    Es kam ihr vor, als ob sie etwas Verbotenes tat, als sie sich unten im Wohnbereich auf das graue Filzsofa legte und nach der Fernbedienung griff. Seit Wochen hatte sie kein Fernsehen mehr gesehen. Und auch jetzt zögerte sie, den Apparat anzumachen. Sie lauschte in Richtung Kinderzimmer. Alles ruhig. Vor einer halben Stunde hatte sie Victor gestillt, ihre rechte Brustwarze brannte noch davon.
Ein gieriger Liebhaber,
dachte sie. Nie hätte sie geglaubt, dass es ihre Tage ausfüllen könnte, ein Baby durch die Wohnung zu tragen oder einfach nur zuzuschauen, wie es in seinem Stubenwagen lag und schlief. Stundenlang konnte sie mit ihm spielen, jauchzte jedesmal selbst, wenn seine winzigen Finger nach ihrem Finger griffen. Und sogar die Zehen – kleiner als bei einem Buschbaby – versuchten zu krallen, wenn sie sie mit dem Finger berührte. Am meisten aber trafen sie seine Augen. Riesig. Blau. Wimpernlos. Und vollkommen undurchschaubar. Sie wartete auf ein Lächeln von Victor, wie sie sonst nur auf die Quoten wartete.
    Der Fernseher erwachte knisternd. Es kam Tessa vor, als ob er ungewöhnlich lange brauchte, bis er endlich ein Bild lieferte. Beleidigt wie ein vernachlässigtes Haustier. Der Nachrichtensprecher verkündete, dass es in London einen neuen Bombenanschlag gegeben hatte. Jetzt erst wurde Tessa bewusst, dass sie seit mindestens einer Woche keine Nachrichten mehr mitbekommen hatte. Die letzten Zeitungen, die sie gekauft hatte, waren die mit den Artikeln über Victors Geburt gewesen. Im Fernseher war ein ausgebranntes Gebäude zu sehen, rauchende Trümmer, schreiende und weinende Teenager vor einer Disco. Erschrocken stellte Tessa den Ton stumm und lauschte. Nichts. Victor war den ganzen Nachmittag sehr weinerlich gewesen. Am frühen Abend hatte Tessa schließlich Elena angerufen. Die Hebamme hatte sie beruhigt, es sei ganz normal, wenn Victor ein wenig weine. Schließlich gebe es so unendlich viel auf dieser Welt, was er noch nicht kannte und ihn verwirrte.
    Ein blutüberströmtes Mädchen drückte sich mit der linken Hand eine Kompresse aufs Auge. Mit dem anderen Arm zeigte es in Richtung des qualmenden Gebäudes. Im Hintergrund rannten Sanitäter und Feuerwehrmänner durchs Bild.
    Sebastian hatte einen guten Umgang mit Victor. Ruhig. Entspannt. Neulich hatte Tessa beobachtet, wie Victor angefangen hatte, an Sebastians Brustwarze zu saugen, als er bei ihm auf dem nackten Oberkörper gelegen hatte.
O Gott, mein Sohn wird schwul
, hatte Sebastian gelacht.
    Tessa berührte vorsichtig ihre rechte Brust. Sie hatte den BH geöffnet, um Luft an ihre wunden Brustwarzen zu lassen. Ein gelblicher Tropfen quoll hervor. Sie verrieb ihn vorsichtig und leckte den Finger ab. Fast konnte sie sich nicht mehr erinnern, wie ihre Brüste früher ausgesehen hatten. Sie wog immer noch fast sieben Kilo mehr als zu Beginn ihrer Schwangerschaft. Bis ihre Sendung wieder losging, hatte sie noch zwei Monate Zeit, trotzdem musste sie sich bald etwas einfallen lassen. Auch wenn Elena dagegen war:
Keine Diäten in der Stillzeit,
hatte sie Tessa befohlen
. Wenn du jetzt abnimmst, landet der ganze Dreck in deiner Milch
.
    Sobald ihre Bauchwunde endgültig ausgeheilt war, würde sie sich einen Hometrainer kaufen. In einer Zeitschrift hatte sie ein Modell gesehen, bei dem man einen Babysitz an der Lenkerstange befestigen konnte. Jeden Tag würden ihr Sohn und sie eine Stunde trainieren.
    Auf dem Bildschirm war jetzt eine überschwemmte Landschaft zu sehen. Tote Kühe und Schafe trieben in einem schlammigen Fluss, der sein Bett offensichtlich seit Tagen verlassen hatte. Am Kennzeichen eines vorbeitreibenden Pickups erkannte Tessa, dass die Bilder aus Amerika stammten.
Ich muss wieder mehr Nachrichten schauen, Zeitungen lesen,
dachte sie.
Die Welt könnte untergehen, und ich kriege nichts mit.
    Sie spürte, wie ein weiterer Tropfen Milch aus ihrer rechten Brustwarze quoll. In den ersten Tagen hatte sie geglaubt, mit ihrer Milch sei etwas nicht in Ordnung. Zu süß. Zu dünn. Manchmal fast muffig. Die Schwestern in der Klinik hatten sie beruhigt. Muttermilch ist eben anders als das, was wir im Kaffee trinken.
    Tessa stand auf, um nach Victor zu schauen. Ihr Bauch tat immer noch weh, wenn sie eine plötzliche Bewegung machte. Aber die Wunde

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