Die Brut
Gefühl, Papa kommt ganz gut ohne dich klar.«
Tessa verrieb einen der zahlreichen feuchten Ringe, die ihr Glas auf dem Teakholztisch hinterlassen hatte. »Er gibt dir Geld, nicht wahr?«
»Und wenn?«
Curt schien auch von der Puderzuckerproduktion genug zu haben. Er war von seiner Decke aufgestanden und umklammerte nun Felis Knie. Tessa bangte vor dem Moment, in dem sie die Decke hochhob und endgültig wusste, wie viele Terracottakacheln ihr Neffe zerdeppert hatte.
»Mama«, lallte er. »Ause.«
»Hast du irgendwelche konkreten Ideen, wie du selbst wieder Geld verdienen kannst?«
»Mann, ich hab dir doch vorhin erzählt, dass es nicht an mir liegt, wenn die ganze Scheiße nicht klappt.«
»Mama. Mama. Ause.«
»Hast du darüber nachgedacht, es in einem anderen Beruf zu versuchen?«
»Ha ha. Weil ich so gut tippen kann oder was?«
»
Mama! Mama! Ause!«
»Ja, die Mama geht gleich mit dir nach Hause«, sagte Tessa.
»Da ist ja die ganze Großfamilie zusammen«, hörte sie im selben Moment Sebastian sagen. Er kam an den Tisch, gab Feli die Hand und Tessa einen Kuss. Dann ging er zu Victors Kinderwagen und schaute hinein.
»Stört’s euch, wenn ich mich einen Moment dazusetze?«
»Natürlich nicht.«
»Nö.«
Curt hatte aufgehört, an Felis Kleiderzipfel herumzuzerren. Stumm und mit großen Augen schaute er Sebastian an, als habe er noch nie einen erwachsenen Mann gesehen.
Hat er ja auch nicht
, dachte Tessa. Im nächsten Moment tat es ihr Leid. Sie hätte ein solches Scheißleben, wie ihre Schwester es gerade führen musste, schlechter verkraftet.
»Na, Meister, erinnerst du dich noch an mich?« Sebastian strich Curt über den Kopf.
Der Junge quiekte vergnügt und vergrub seinen Kopf in Felis Schoß.
»Sebastian. Onkel Sebastian.«
»Ich glaub, ich muss jetzt echt gehen.« Feli schob Curt beiseite, stand auf und ging zu der Decke, die ihr Sohn verwüstet hatte.
»Ach was, bleib doch noch ein bisschen«, sagte Sebastian. »Du kannst mit uns zu Abend essen. Wir wollten hier auf der Dachterrasse ein paar Steaks grillen.«
Feli drehte den Bagger, dessen Schaufel an einer Seite abgerissen war, in ihren Händen.
»Klar, bleib doch, es ist genug da«, sagte Tessa.
»Okay. Aber nur, wenn ich was anderes als diesen Scheißtee krieg.«
Im Grill verglühten die Kohlen. Drei Teller mit Fleisch- und Salatresten standen auf dem Tisch. Sebastian war im unteren Stockwerk verschwunden, um eine zweite Flasche Wein zu holen. Curt hatte sich samt Decke unter den Tisch verzogen, nachdem er die letzte Stunde geheult hatte. Keine Würstchen. Und drei Menschen, die jedesmal gleichzeitig aufschrien, wenn er mit dem Grill spielen wollte. Der Tag hatte für ihn eine enttäuschende Wendung genommen.
»Der Typ ist ja doch nicht so verkehrt«, sagte Feli, indem sie den letzten Schluck
Meursault
hinunterkippte.
Die Flasche musste lange in ihrem Weinregal gelegen haben. Tessa konnte sich dunkel erinnern, sie im letzten Sommer gekauft zu haben.
»Wie alt ist er?«, wollte Feli wissen.
»Achtundvierzig.«
»Dann hat er sich aber echt gut gehalten. Übrigens – ich glaub, da hab ich mich nie für bedankt: War supercool, dass du ihm damals nichts von der Geschichte auf dem Klo erzählt hast.« Und etwas leiser sagte sie: »Ich hab danach aufgehört. Ehrlich. Es war das letzte Mal.«
Tessa brummte etwas Unverständliches und schenkte sich den restlichen Eistee aus der Karaffe ins Glas. Ein großer Schluck schwappte daneben.
»Gibt’s bei dir irgendwas Neues?«, wechselte sie das Thema. Sie hatte keine Lust, sich Felis Schneemärchen anzuhören.
»Inwiefern?«, fragte ihre Schwester.
»An der Männerfront.«
Feli senkte spöttisch die Mundwinkel. »Die Typen, die ihre Kids im Kinderladen abholen, sind nicht so der Hit. Und mit einem dieser verdammten Produzenten penn ich erst, wenn ich einen Vertrag hab.«
»Und Robert kümmert sich gar nicht um Curt?«
Mit strahlendem Lächeln kam Sebastian auf die Dachterrasse zurück. »Von dem
Meursault
habe ich keinen mehr gefunden, aber der hier müsste auch ganz gut sein.«
Er war schön, im weißen Hemd mit beiger Leinenhose und Sandalen. Tessa schaute ihm zu, wie er die zweite Flasche entkorkte. Er hatte tatsächlich den
Puligny-Montrachet
mitgebracht. Für ihre Schwester, die keinen weißen Burgunder von einem
Filou blanc
unterscheiden konnte. Victor bewegte sich in seinem Kinderwagen. Wahrscheinlich hatte er bald wieder Hunger. Sie sollte mit ihm nach unten gehen und ihn
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