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Die Brut

Titel: Die Brut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thea Dorn
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den Wassergraben heran. Er richtete das Sonnendach und streichelte Victor über die Stirn. Durch brennende Augen sah Tessa, wie Sebastian Victor aus dem Wagen hob, ins Löwengehege warf, wie die Jungen das andere neugierig beschnupperten, die Weibchen aufsprangen, wie der Alte oben von seinem Fels herunterkam und das Junge, das nicht in sein Rudel gehörte, mit einem einzigen Prankenschlag tötete.
    Die Vision verschwand. Und wurde von einer neuen abgelöst: Sebastian kniete vor ihr.
    Tessa blinzelte. Die Hitze. Die Gerüche. Die Tierschreie.
    Diesmal war es keine Vision. Sebastian kniete tatsächlich vor ihr.
    Und sagte etwas, das sie nicht verstand.
    Als er es wiederholte, wurde ihr klar, dass sie es doch beim ersten Mal schon verstanden hatte. Tessa schlug die Hände vors Gesicht und begann zu schreien.

7
    Mit Schlittenhunden den Nordpol überqueren. Japanisch lernen. Ein Jahr lang um die Welt segeln. Das alles waren Dinge, von denen Tessa nicht vollständig ausschließen wollte, dass sie sie eines Tages noch tat – besonders weit oben auf der Liste der auszuführenden Dinge standen sie nicht. Bis zu jenem Nachmittag im Zoo hätte sie gesagt, dass auch Heiraten zu dieser Gruppe gehörte. Doch jetzt, wo der Gedanke in ihrem Leben aufgetaucht war wie eine Katze, die eines Morgens auf der Schwelle sitzt, der man ein Schälchen Milch hinausstellt, während man ihr erklärt, dass man sie unmöglich aufnehmen kann, weil man Katzen nicht mag, der man am zweiten Tag kein Schälchen hinauszustellen versucht, es abends aber doch tut, bis man ihr am dritten Tag schließlich die Tür öffnet – jetzt erschien Tessa dieser Gedanke ganz natürlich.
    Sie musste lachen, wenn sie daran dachte, wie sie Sebastian im Zoo davongerannt war. Sie liebte ihn. Er liebte sie. Sie hatten ein gemeinsames Kind. Sie hatten zwei wunderbare Berufe. Sie hatten Geld. Nichts sprach dagegen zu heiraten. Und dennoch war sie stundenlang zwischen Schleiereulen, Koalas und Hängebauchschweinen umhergeirrt. Heute konnte sie sich ihr Verhalten nur damit erklären, dass Sebastians Antrag sie zu sehr überrascht hatte. Wenn sie vorher einmal laut übers Heiraten nachgedacht hätten – sie wäre ihm gleich am Löwengehege um den Hals gefallen und hätte
Ja! Ja! Ja!
gebrüllt. So hatte es sie am Abend einige Überzeugungskraft gekostet, Sebastian – er hatte sich ein Taxi genommen und war mit Victor nach Hause gefahren – zu versöhnen.
    Das Fest sollte gewaltig werden. Sie hatten das Schlosshotel schon gebucht, in dem sie am letzten Oktobersamstag feiern würden. Den Hotelbesitzer hatten sie so weit gebracht, den zehn Gästen, die bereits Zimmer gebucht hatten, wieder abzusagen. Sie brauchten das ganze Hotel. Mit Terrasse. Und Bootshaus. Und Strand.
    Aus Schulzeiten kannte Sebastian einen evangelischen Pfarrer, der sie in der winzigen Backsteinkirche, die nur wenige Kilometer vom Hotel entfernt lag, traute. Und Victor taufte. Nachdem sie zwei Nächte nachgedacht hatte, erschien es Tessa nicht mehr unmöglich, Victor über ein Taufbecken halten zu lassen. Es ging um das Fest. Es ging darum, sich zu zeigen. Sebastian hatte Recht, sie hatten sich seit Victors Geburt fast vollständig abgeschottet, es war an der Zeit, wieder ins Licht zu treten. Tessa in Weiß. Victor in Weiß. Sebastian in Schwarz. Es würde schöne Bilder geben.
    Sie hatte mit Sebastian vereinbart, dass sie zunächst getrennte Gästelisten machten und erst am Schluss besprachen, ob es Namen gab, die für den anderen schwierig waren. Eine ganze Weile hatte Attilas Name allein auf dem Zettel gestanden, er war der Einzige, den Tessa hatte hinschreiben können, ohne nachzudenken. Attila war ein Gast, den sie für sich und für das Fest einlud, ansonsten fielen ihr nur Leute ein, die ihr Privatvergnügen waren – Ben, der hübsche Jungredakteur, Wiebke, ihre Maskenbildnerin, die sie zu
Kanal Eins
hatte mitnehmen können –, die aber für das Fest nichts brachten. Als sie die Liste der Namen durchging, die sie schließlich aus ihren diversen Adresskarteien und Visitenkartenboxen abgeschrieben hatte (Kollegen, mit denen sie bei irgendwelchen Fernsehfesten mal geplaudert hatte, Schauspieler, die Gast in ihrer Sendung gewesen waren, Politiker), war sie sicher, dass es nicht nur ein schönes, sondern ein wichtiges Fest werden würde. Tessas Hand stockte, als sie eine zweite Liste mit
Papa
eröffnete. Sie musste ihren Vater einladen, wenn sie es nicht tat, würde es Sebastian tun. Dasselbe galt

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