Die Brut
winzige Pause,
»–
sie sucht nicht das Ihre, sie lässt sich nicht erbittern, sie trägt das Böse nicht nach, sie freut sich nicht über das Unrecht, sie freut sich vielmehr an der Wahrheit; sie erträgt alles, sie glaubt alles, sie hofft alles, sie duldet alles
.«
Tessas zwölfreihiges Perlen-Collier begann zu drücken, gern hätte sie sich am Hals gekratzt, aber ihre Rechte lag auf ihrem Schoß und hielt den Brautstrauß, die Linke hielt Sebastian fest umklammert. Sie hatten mit dem Pfarrer verabredet, dass er nur kurz predigen sollte, höchstens zehn Minuten, Tessa hatte keine Ahnung, wie viele davon schon herum sein mochten. Es wunderte sie, dass Victor immer noch still war. Sebastians Cousin war ein unauffälliger Mann mit vollem Haar. Offensichtlich kamen er und Victor gut zurecht. Für alle Fälle hatten sie Katharina direkt hinter die beiden gesetzt.
»
Nun aber bleiben Glaube, Hoffnung, Liebe, diese drei; aber die Liebe ist die Größte unter ihnen
.«
Um sich auf die Hochzeit vorzubereiten, hatte Tessa die Stelle in der Bibel gelesen. Bis dahin hatte sie stets geglaubt, dass es »Glaube, Liebe, Hoffnung« hieß: Erst glaubt man, dass man sich liebt, dann tut man es tatsächlich, und dann hilft nur noch hoffen. So herum war es natürlich viel schöner. Erst glaubt man, dann hofft man, dann liebt man sich, und dann kommt nichts mehr. Einen Moment dachte sie, dass es eigentlich noch logischer wäre, wenn man erst hoffte, dann glaubte und sich dann liebte, aber darauf kam es jetzt nicht an. Worauf es ankam, war, dass sie mit Sebastian hier saß. Und hundert Leute hinter ihnen. Und draußen zwanzig Fotografen darauf warteten, dass sie endlich ihre Bilder schießen durften.
Zu spät merkte Tessa den Ruck an ihrer linken Hand. Der Pfarrer hatte die Bibel auf den Altar zurückgelegt, Sebastian war bereits aufgestanden.
»Vor dem heiligen Gott und vor dieser seiner Gemeinde frage ich dich, Sebastian Waldenfels: Willst du diese Theresia Simon als deine Ehefrau aus Gottes Hand hinnehmen, sie lieben und ehren, in guten und bösen Tagen sie nicht verlassen und allezeit die Ehe mit ihr nach Gottes Willen führen, bis der Tod euch scheidet, so antworte: Ja.«
Obwohl sich ihre Hände nicht mehr berührten, spürte Tessa Sebastians Zittern. Er musste sich einmal räuspern, bevor er »Ja« sagen konnte.
»Vor dem heiligen Gott und vor dieser seiner Gemeinde frage ich auch dich, Theresia Simon: Willst du diesen Sebastian Waldenfels als deinen Ehemann aus Gottes Hand hinnehmen, ihn lieben und ehren, in guten und bösen Tagen ihn nicht verlassen und allezeit die Ehe mit ihm nach Gottes Willen führen, bis der Tod euch scheidet, so antworte: Ja.«
Tessa hatte während der Frage des Pfarrers versucht, sich unauffällig zu räuspern. Dennoch klang ihre Stimme belegt, als auch sie »Ja« sagte. Auf der Seite der Kirche, wo ihre Familie saß, wurde geschluchzt. Es kostete Tessa Mühe, nicht rot zu werden.
»So reichet einander die rechte Hand.«
Tessa merkte, dass sie vorhin beim Aufstehen vergessen hatte, den Brautstrauß auf den Stuhl zu legen, und jetzt war es zu spät. Eine Sekunde überlegte sie, Sebastian einfach die Linke zu geben, die er ohnehin die ganze Zeit gehalten hatte. Aber dann musste er ihr gleich auch den Ring an die linke Hand stecken. Sie spürte die Unruhe, die hinter ihnen entstand. Kurzerhand nahm Tessa den Strauß in die Linke und merkte, dass sie ein Problem nur durch ein neues ersetzt hatte: Wenn sie die Hand hängen ließ, war der Strauß zwischen ihr und Sebastian eingequetscht, was von hinten vollkommen lächerlich aussehen musste; wenn sie ihn nach vorn nahm und den rechten Arm zu Sebastian hinüberstreckte, fühlte es sich an, als wolle sie sich selbst fesseln. Sie hatte sich gerade für die Selbstfesslung entschieden, als Sebastian zu ihr herübergriff und ihr den Strauß abnahm. Hinter ihnen wurde gelacht.
Auch der Pfarrer lächelte und legte seine Hand auf die ihren.
»Was Gott zusammengefügt hat, das soll der Mensch nicht scheiden. Gott, Vater, Sohn und Heiliger Geist segne euren Bund. Er erhalte euch bei seinem Wort, er gebe euch Glauben und Liebe und bewahre euch in seinem Frieden. Amen.«
Tessa spürte noch immer die Hitze in ihrem Gesicht, als der Pfarrer an den Altar trat, um das rote Kissen mit den Trauringen zu holen. Ihre Hand zitterte, als Sebastian versuchte, ihr den Ring über den Finger zu streifen. Da auch seine Hände zitterten, brachte er den Ring nicht weiter als
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