Die Brut
Taufpaten?«, rief Sebastian ihr hinterher, als sie einige Stufen weiter hinabschritt.
»Klar … Okay, alle aufpassen«, sagte sie laut. Die meisten Gäste hatten mittlerweile die Kirche verlassen. »Wer heiraten will, soll fangen!«
Sie drehte sich mit dem Gesicht zum Portal und warf den Strauß hinter sich. Es gab Applaus und Gelächter.
»Ben, du Depp, bist du eine Frau?«
»Einmal Torwart, immer Torwart, kann nichts vorbeilassen, was angeflogen kommt.«
Auch Tessa hatte sich wieder umgedreht. Ihr Lieblingsredakteur stand da, knallrote Ohren, ihren Brautstrauß in der Hand.
»Es … es tut mir Leid«, stammelte Ben, »vielleicht willst du noch mal werfen?«
»Noch mal werfen gibt’s nicht!« Attila hatte sich neben ihn gestellt und schlug ihm auf die Schulter. »Jetzt musst du dir schon einen netten Mann suchen, der dich heiraten will.«
»Attila!« Tessa war die letzten Treppenstufen herabgekommen. Hatte Ben nicht einen Freund mitbringen wollen? Es sah nicht so aus, als ob ihn jemand begleitete. Sie schob ihren Produzenten und Victors Taufpaten beiseite und gab Ben einen langen Kuss.
Auf der überdachten Terrasse des Schlosshotels war alles vorbereitet. Kaffee, Kuchen, Kapelle, Champagner. Zwischen den zierlichen weißen Holzsäulen standen Heizstrahler. Noch war es angenehm, aber mit der Dunkelheit würde die Kälte vom See heraufkriechen. Sie hatten mit dem Hotel vereinbart, dass sie erst zum Abendessen in den großen Saal umziehen würden.
»Ist es nicht absolut zauberhaft hier? Dieser Blick auf den See. Diese Terrasse«, seufzte Sebastian.
Tessa teilte sich mit ihm einen der weißen Deckchairs, die am vorderen Rand, dort, wo die Terrasse an den Rasen grenzte, aufgestellt waren. Neben ihnen räkelte sich Rufus, Sebastians Schauspielfreund, den Tessa heute zum dritten Mal sah.
»Tschechow hätte seinen Arsch nicht mehr gehoben«, sagte der und winkte einem der Kellner, die mit ihren stets gefüllten Champagner-Tabletts umhergingen. »Gibt’s schon ‘ne Richtung für die Flitterwochen?«
»Sehr witzig. Übernimmst du meine Vorstellungen? – Und Tessas Sendung«, fügte Sebastian hinzu.
»Ach ja, die Welt der Werktätigen.« Rufus ließ sich mit einem neuen Glas in den Stuhl zurücksinken und schob seine Sonnenbrille zurecht.
Sebastian küsste Tessa in den Ausschnitt. »Ich glaub, wir sollten langsam mal.«
Sie gab ein tiefes Jaulen von sich.
»Du hast es versprochen.«
»Okay. Aber nur fünf Minuten.«
Sebastian kitzelte sie so lange, bis sie aufstand.
»Wir sehen uns«, sagte er zu Rufus.
»Habt Spaß, meine Schönen!« Der Schauspieler warf ihnen ein flüchtiges Kusshändchen zu.
»Schau mal, wer da kommt.«
Tessa hörte die Stimme ihrer Stiefmutter bereits Meter, bevor sie den Elterntisch erreicht hatten. Keiner ihrer Absätze tat ihr den Gefallen, in einem Holzspalt stecken zu bleiben, Sebastian bekam keinen plötzlichen Erstickungsanfall, keine der weißen Holzsäulen brach ein.
»Wollt ihr euch setzen?« Herr Waldenfels senior stand sofort auf, Stühle wurden gerückt. Tessa hatte Sebastians Eltern vorhin nur kurz die Hand geschüttelt, jetzt konnte sie sie zum ersten Mal näher betrachten. Nie hätte sie geglaubt, dass Sebastians Vater schon Ende siebzig war. Er stand immer noch kerzengerade, seine Arme zitterten nicht, als er einen der schweren Holzstühle vom Nachbartisch heranholte. Die Ähnlichkeit mit Sebastian war unübersehbar. Das dichte, beim Senior allerdings schlohweiße Haar. Die griechische Nase. Die hohe Stirn. Tessas Vater war nun auch aufgestanden, schaute sich nach einem weiteren freien Stuhl um, hilflos.
»Bleiben Sie nur sitzen, Herr Simon, ich hab schon einen«, sagte Sebastian rasch.
»Sollen wir euch Gedecke kommen lassen?«, fragte Frau Waldenfels, als Tessa und Sebastian saßen. »Es ist noch so viel Kuchen da.« Sie zeigte auf die Etagere, die in der Mitte des Tisches stand.
»Danke. Aber ich bin voll bis oben«, sagte Sebastian, »wie sieht’s bei dir aus?«
»Nein, für mich auch nicht, danke«, antwortete Tessa.
»Nicht wenigstens Gläser oder Tassen?« Frau Waldenfels trug ein elegantes dunkelgrünes Kleid, dessen lange Ärmel geschlitzt waren, und nur wenigen, teuren Schmuck. Auch ihr hätte Tessa die Mitte siebzig nicht angesehen.
»Vielleicht trinke ich doch noch einen Kaffee.« Tessa lächelte freundlich, und Frau Waldenfels hielt Ausschau nach einem Kellner.
»Das ist also der tolle Mann, der unsere Tochter endlich unter die Haube
Weitere Kostenlose Bücher