Die Brut
eigenen Gesundheit. Du kannst eine Brustentzündung bekommen, einen Abszess.«
»Ich habe auch jetzt ständig entzündete Warzen.«
»Du riskierst eine Depression. Wenn dein Prolaktinspiegel so plötzlich abfällt, das ist wie –«
»Kalter Entzug«, sagte Katharina, die bislang geschwiegen hatte. »Das mit der Milch tut mir Leid. Ich hätte dir sagen müssen, dass es ganz normal ist, wenn sich deine Milch im Kühlschrank so zersetzt. Meinst du nicht, dass du noch ein paar Monate durchhalten kannst? Dann steigen wir ohnehin nach und nach auf Brei um.«
»Ich habe mich erkundigt. Die Pre-Nahrung aus dem Bioladen ist genauso gut wie Muttermilch. Ich fange heute mit dem Abstillen an.«
Als die beiden Schwestern gegangen waren, rollte Tessa den Hometrainer, den sie letzten Monat gekauft hatte, neben dem Schrank heraus. Der Korb am Lenker musste leider leer bleiben, Victor war noch zu klein, um darin zu sitzen. Voller Sehnsucht schaute sie nach den Laufschuhen, die ganz unten in ihrem Schuhschrank standen. Bald würde sie wieder joggen gehen können. Und im neuen Jahr war Victor alt genug, dass sie ihn im Babyjogger mitnehmen konnte. Alles ging aufwärts.
Der Mendelssohn hatte sich durchgesetzt. Eine Weile hatte Tessa noch versucht, Sebastian umzustimmen, bis er kategorisch erklärt hatte, zu Wagners Musik keinen Fuß zu rühren. Jetzt, wo sie langsam über den roten Teppich nach vorn zum Altar schritten, sie rechts, Sebastian mit Victor auf dem Arm links, bereute sie es, nicht nachdrücklicher auf dem Wagner bestanden zu haben. Bislang war alles perfekt, Sebastian sah in dem maßgeschneiderten Frack wie Mitte dreißig aus, Victor hatte das ellenlange Taufkleid aus dem Antiquitätenladen an und schrie nicht, und sie selbst in ihrem cremeweißen Seidenkleid mit den dreitausend aufgenähten Perlen und Glassteinchen spürte, wie Kirchenbankreihe für Kirchenbankreihe die Bewunderung und der Neid wuchsen.
Nur der Mendelssohn stimmte nicht. Am Organisten konnte es nicht liegen, dass Tessa für einen Moment das Gefühl hatte, keinen Kirch-, sondern einen Kaufhausgang entlangzuschreiten. Eine Woche hatte sie im ganzen Land herumtelefoniert, um den besten Organisten für ihre Hochzeit zu finden. Gegen den Mendelssohn konnte auch er nichts ausrichten.
Tessa setzte ein noch strahlenderes Lächeln auf. Sie hatte lange überlegt, ob sie ein Diadem, einen Schleier oder sonst einen Kopfschmuck wählen sollte. Jetzt fühlte sie, dass es richtig war, sich für die schlichte Hochsteckfrisur entschieden zu haben.
Fast hatten sie die beiden rot gepolsterten Stühle, die vor dem Altar standen, erreicht. Am rechten Rand ihres Gesichtsfeldes entdeckte sie Feli. Curt stand neben ihr auf der Kirchenbank und brabbelte vor sich hin. Feli nahm seine Hand und winkte ihnen zu. Tessa richtete den Blick wieder gerade nach vorn. Wenn sie nicht alles täuschte, hatte Feli den schwarz-blauen Motorradanzug an, den sie früher bei ihren wilderen Auftritten getragen hatte.
Wie verabredet übergab Sebastian Victor an seinen Cousin Georg, der aus Guatemala eingeflogen war und später der Taufpate sein würde.
Der Pfarrer lächelte Sebastian und Tessa an, nachdem sie auf den beiden rot gepolsterten Stühlen Platz genommen hatten.
»Liebes Brautpaar. Ihr seid hierher gekommen, weil ihr füreinander Verantwortung übernehmen wollt. Vor der Trauung hört, was der Apostel Paulus über die Liebe sagt.« Er schlug die große Bibel auf. »
Wenn ich mit Menschen- und mit Engelzungen redete und hätte die Liebe nicht, so wäre ich ein tönendes Erz oder eine klingende Schelle. Und wenn ich prophetisch reden könnte und wüsste alle Geheimnisse und alle Erkenntnis und hätte allen Glauben, sodass ich Berge versetzen könnte, und hätte die Liebe nicht, so wäre ich nichts. Und wenn ich alle meine Habe den Armen schenkte und ließe meinen Leib brennen, und hätte die Liebe nicht, so würde mir’s nichts nützen
.«
Tessa spürte, wie Sebastians Hand die ihre suchte. Nicht weit hinter ihr hörte sie ein fröhliches Krähen, dann so etwas wie »
lo-pa«
, und war erleichtert, dass es nicht Victor sein konnte. Einige Verwandte aus Sebastians Familie hatten kleine Kinder dabei, aber Tessa war sicher, dass Curt es war, der da lallte.
»
Die Liebe ist langmütig und freundlich, die Liebe ist nicht eifersüchtig, die Liebe treibt nicht Mutwillen, sie bläht sich nicht auf, sie verletzt nicht den Anstand
–«
Irgendwo kicherte jemand, der Pfarrer machte nur eine
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