Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Die Brut

Titel: Die Brut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thea Dorn
Vom Netzwerk:
gebracht hat.«
    Bislang war es Tessa gelungen, ihre Stiefmutter nicht direkt anzusehen, deshalb erschrak sie, als sie das rosa Kostüm und den goldenen Modeschmuck jetzt genauer betrachtete.
    »Ich habe es ja vorhin schon zu Ihren Eltern gesagt«, wandte sich die Stiefmutter an Sebastian, »Sie müssen ein wahrer
Superman
sein.« Sie sprach das Wort aus, als ob sie es letzte Woche in irgendeiner Jugendsendung aufgeschnappt hätte. Tessa rechnete schnell im Kopf. Sebastian war nur fünfzehn Jahre jünger als ihre Stiefmutter. »Nie war unserer Theresia einer gut genug.«
    Tessa konnte nicht länger hinschauen. Das Dekolleté war mindestens zehn Zentimeter zu tief und zwanzig Sonnenbankbesuche zu dunkel.
    »Recht hat sie gehabt, auf mich zu warten«, sagte Sebastian und lachte. Tessa spürte seine Hand in ihrem Rücken.
    Ihre Stiefmutter lachte hingerissen zurück. »Und Sie müssen nicht glauben, dass Theresia uns etwas erzählt hat, als sie Sie kennen gelernt hat.« Sie winkte mit der Hand ab. Ein Dutzend billiger Ringe. »Aber die war ja schon immer so. Die Theresia, die hat eben immer ihre Geheimnisse gehabt.«
    Tessa spürte, wie der Blick ihrer Stiefmutter zu ihr wanderte, es kostete sie Kraft, den Blick zu erwidern.
    »Aber ich habe das immer verstanden, nicht wahr, Theresia?«
    Tessa sah, wie ihr Vater unauffällig versuchte, einen Buttercremefleck von seinem Revers zu wischen. Er nahm die Damastserviette. Und vergrößerte damit den Fleck. Tessa war sich fast sicher, dass es der Anzug war, den er bei der Beerdigung ihrer Mutter getragen hatte. Sie wollte aufstehen und ihm helfen.
    »Madame.« Ein Kellner mit großem Servierwagen war gekommen und stellte ihr eine Tasse hin. »Kaffee? Tee?«
    »Kaffee, bitte.«
    Alle schauten dem Vorgang zu, als hätten sie noch nie einen Kellner Kaffee in eine Tasse gießen sehen.
    »Danke.«
    Tessa blieb sitzen und trank. Alle Blicke waren zu ihr gewandert. So mussten sich früher die frisch vermählten Kaiserinnen gefühlt haben, wenn morgens der Hofstaat kam, um das Laken zu kontrollieren.
    »Sebastian hat mir erzählt, dass Sie nicht mehr stillen«, brach Frau Waldenfels das Schweigen.
    Die Tasse klirrte leise, als Tessa sie auf den Untersetzer zurückstellte. »Das hat er Ihnen richtig erzählt.« Tessa drehte sich in die Richtung, in die der Kellner verschwunden war. »Entschuldigung. Bringen Sie mir bitte noch ein Glas Champagner?«
    »Ich finde, dass Thomas eine sehr eindringliche Predigt gehalten hat«, sagte Sebastians Vater. »Habt ihr die Bibelstelle mit ihm abgesprochen?«
    Sebastian lachte. »Du weißt doch genau, wie bibelfest ich bin. Thomas hat uns den Korinther vorgeschlagen.«
    »Ja, ja. Glaube, Liebe, Hoffnung. Horváth hat schon gewusst, warum er die Reihenfolge umkehrt.«
    »Die junge Frau, die gesungen hat«, unterbrach Frau Waldenfels die Gedanken ihres Mannes, »ich muss mich da wohl täuschen, das war nicht diese Sängerin, die Hodgkin hat?«
    »Mutter, was liest du denn für Zeitungen?«
    Frau Waldenfels ignorierte die Bemerkung ihres Sohnes und schaute weiter Tessa an.
    »Nuala ist fast vollständig geheilt«, sagte Tessa. »Sie hat sich sehr gefreut, dass sie bei unserer Hochzeit singen konnte.« Im selben Moment bereute sie, dass sie sich verteidigt hatte. Sie trank von dem Champagner, der vor ihr aufgetaucht war.
    »Also, ich persönlich, ich schaue ja fast kein Fernsehen«, schaltete sich ihre Stiefmutter wieder ein, »aber die Frau Hasbach aus dem Nagelstudio, die hat die Sendung ja gesehen, wo diese Nuala bei Theresia war und erzählt hat, wie krank sie ist. Das muss ganz schlimm gewesen sein.«
    Die Waldenfels nickten freundlich.
    »Machen Sie Ihre Sendung wöchentlich?«, fragte Sebastians Vater. »Ich hatte leider erst ein Mal die Gelegenheit, sie zu schauen, damals war Frau Behrens Ihr Gast.« Er machte eine kleine Pause. »Ich finde, dass Sie die Situation sehr geschickt gemeistert haben.«
    »Danke.« Zu ihrem Ärger spürte Tessa Hitze im Gesicht.
    »Verstehe ich das richtig, dass Sie sich bei der Sendung ganz explizit auf die Situation der Freudschen Psychoanalyse beziehen?«
    »Wir spielen damit.«
    »Und das kann man ja durchaus so begreifen. Wenn man davon ausgeht, dass die Psychoanalyse im frühen zwanzigsten Jahrhundert die Funktion der Beichte übernommen hat, und man nun behauptet, dass im frühen einundzwanzigsten Jahrhundert das Fernsehen wiederum diese Funktion übernimmt.« Herr Waldenfels nickte nachdenklich. »War das Ihre

Weitere Kostenlose Bücher