Die Buchmagier: Roman (German Edition)
anderen Archive getroffen worden?«
»Noch nicht.« Deb nahm ihr Handy raus und überprüfte die Anzeige, dann steckte sie es wieder weg. »Wer immer hinter dieser Sache steckt, er beschränkt sich noch auf die nähere Umgebung.«
Lena schob sich näher. »Wieso sollten Vampire es auf eine Bibliothek abgesehen haben?«
»Ich denke nicht, dass Vampire das getan haben.« Deb starrte den Boden an. »Was würdet ihr sagen, wenn ich euch erzählte, dass Johannes Gutenberg vor drei Monaten verschwunden ist?«
»Oh Scheiße!« Ich sprach ein halbes Dutzend Sprachen, aber manchmal tat es das gute altmodische Fluchen am besten.
Johannes Gutenberg hatte gegen Ende des fünfzehnten Jahrhunderts das Verfahren der Libriomantik erfunden. Als Heranwachsender hatte er unter einem unbedeutenden Hexenmeister und Mönch in der Kirche St. Christoph in Mainz studiert, doch Gutenberg fehlte die rohe Macht der großen Magier. Er beendete seine Lehre und machte sich auf eigene Faust auf, entschlossen, die Kunst zu meistern, die er gesehen hatte.
Er widmete sein Leben dem Studium der Zauberei, ein Streben, das ihn schließlich zur Entwicklung der Druckerpresse und der Massenproduktion von Büchern führte. Gutenberg theoretisierte, dass diese Erfindung ihm erlauben werde, sich den gemeinsamen Glauben der Leser zunutze zu machen und somit seine Macht zu stärken.
Sein langes Glücksspiel zahlte sich aus. Hunderte, ja Tausende von Menschen konnten jetzt genau das gleiche Buch in genau der gleichen Form lesen. Der erste dokumentierte Akt der Libriomantik fand statt, als Gutenberg seine massenproduzierte Bibel benutzte, um den Heiligen Gral zu erschaffen, den Kelch des Lebens, der ihn seitdem am Leben gehalten hatte.
»Nicht ein einziger Automat hat auf die Angriffe auf die Pförtner reagiert«, sagte Deb. »Wir können sie nicht finden, und wir können Gutenberg nicht finden.«
Gutenberg hatte den ersten Automaten als seinen persönlichen Beschützer und Leibwächter gegen Ende des fünfzehnten Jahrhunderts gebaut. Im Lauf der nächsten vierzig Jahre, als die Libriomantik sich verbreitete und Gutenbergs Macht wuchs, erschuf er insgesamt zwölf mechanische Wächter. Sie waren praktisch unzerstörbar und hatten erstens die Aufgabe, Leute vom Fach daran zu hindern, ihre Macht zu missbrauchen, und zweitens, dabei zu helfen, die Zauberei vor der Öffentlichkeit zu verbergen.
Ich hätte alles dafür gegeben, sie studieren zu dürfen, zu lernen, wie ein Libriomant solche ›Wesen‹ hatte herstellen können. Niemandem war es je gelungen, seine Schöpfungen zu reproduzieren.
»Glaubst du, die Vampire haben ihn entführt?«, fragte Lena.
»Wenn sie ihn umgedreht haben …« Bei dem Gedanken an eine solche Menge Wissen in den Händen der Untoten schluckte ich schwer.
»Pallas glaubt es nicht«, sagte Deb. »Sie sagt, entsprechende Vorkehrungen seien immer noch intakt; Notfallzauber, die vor langer Zeit gewoben wurden. Keiner von ihnen wurde ausgelöst.«
»Die Vampire in der Bücherei konnten nicht einmal uns beide aufhalten«, ergänzte Lena. »Wie sollten sie Gutenberg überwältigen?«
»Das konnten sie nicht«, sagte Deb. »Nicht ohne Hilfe.«
»Du meinst jemanden innerhalb der Pförtner.« Ich wartete, aber sie beobachtete mich einfach, den Kopf schräg gelegt wie ein Lehrer, der ungeduldig darauf wartet, dass ein Schüler die Lektion kapiert. »Augenblick mal, ist das der Grund, weshalb mir nichts gesagt wurde? War ich etwa ein Verdächtiger?«
»Das waren wir alle.« Deb griff in ihre Jacke und schnitt gleich darauf eine Grimasse. »Was ich in Wochen wie dieser mehr als alles andere will, ist eine verdammte Zigarette!«
»Kommt nicht in die Tüte!«, sagte ich automatisch. »Ich habe gehört, wie du dich aufgeführt hast, als du das letzte Mal aufgehört hast!« Zauberei in Kombination mit Nikotinentzug ergab einen ganz fiesen Buchmagier. Falls man den Gerüchten Glauben schenken durfte, hatte Deb ein Exemplar der Odyssee benutzt, um einen ihr besonders unangenehmen Besucher für den größten Teil des Tages in ein Schwein zu verwandeln.
»Die Vampirpopulation hat sich in den letzten zehn Jahren verdoppelt«, legte Deb dar. »Gar nicht zu reden von Werwölfen und Geistern und den Übrigen. Sie bleiben außer Sicht, aber Gutenberg verliert allmählich die Kontrolle.« Sie stand auf und machte Anstalten, zu den Bücherregalen zu gehen, blieb aber mit dem Fuß hängen. Ich tat einen schnellen Schritt nach vorn, um ihren Sturz
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