Die Buchmagier: Roman (German Edition)
einem totalen Krieg hätten sie keine Chance. Mehr als die Hälfte von ihnen ist tagsüber hilflos, und bei der letzten Zählung waren sie den Menschen eins zu einer Million unterlegen.«
»Eine Art Bürgerkrieg unter den Vampiren?« Lena löffelte den Rest der Eiscreme.
»Davon hätten die Pförtner gehört.« Ob sie sich allerdings die Mühe gemacht hätten, mir davon zu erzählen, stand auf einem ganz anderen Blatt. »Hat es ähnliche Angriffe in andern Ländern gegeben?«
»Nicht dass ich wüsste.«
Die meisten Vampire waren vollauf damit zufrieden, in Frieden zu leben, auch wenn eine Menge im Grunde genommen Monster geblieben waren. Falls sie jetzt die Pförtner ungestraft angriffen, würde es nicht lange dauern, bis weitere ihrem Beispiel folgten.
Wenn dem nicht bald ein Ende gesetzt würde, konnten wir uns einem weltweiten Krieg mit den Untoten gegenübersehen.
Kapitel 3
Die Zauberei hatte sich schon immer in meine Träume eingemischt. Laut jahrelangen Pförtner-Forschungen veränderte sich die Hirnwellenerregung während des Schlafes unmittelbar nach der Anwendung von Zauberei. Die REM-Phasen tendierten dann dazu, während des aktiven Magiegebrauchs wahrgenommene Muster zu imitieren. Und Pförtner-Tratsch wusste zu berichten, dass Nicola Pallas sogar einmal nach einem Tag intensiven Zauberns aufgewacht war und feststellen musste, dass sie sich im Schlaf in ein zweihundert Pfund schweres grünes Kaninchen verwandelt hatte.
Ich war nicht mächtig genug, um mit solchen Problemen kämpfen zu müssen. Stattdessen stand ich einfach surreale, zu lebhafte Träume durch, in denen meine Zauberkunst mich im Stich ließ, wenn ich sie gerade am dringendsten brauchte. Manchmal griff ich in meine Bücher, nur um dann zu merken, dass ich die Hand nicht mehr herausziehen konnte. Oder ich schleuderte das Buch fort und musste entsetzt zusehen, wie das, was von meinem Arm übrig war, sich langsam auflöste, vom Buch verzehrt. Die schlimmsten Albträume waren die, in denen ich durch das magische Portal fiel, das ich in den Seiten geöffnet hatte, oder noch schlimmer, wenn etwas auf der anderen Seite mich hineinzog.
Die heutige Nacht war eine der übleren. Ich schreckte so heftig aus dem Schlaf hoch, dass ich aus dem Bett fiel. Überbleibsel meines Traums brüllten mir zu, ich stürzte immer tiefer in die Finsternis. Sanfte Finger berührten meine Schulter, ich schrie und schlug sie fort.
»Nicht aufregen!«, sagte Lena. »Ich bin’s.«
Ich versuchte, sie zurückzustoßen, aber das war wie der Versuch, einen Baum zu entwurzeln. Langsam schob die Realität den Traum beiseite, und das Herzrasen ließ nach.
Sie half mir auf die Füße. Die Laken waren nass von Schweiß.
Doktor Shah hatte mir einmal Pillen verschrieben, die mir helfen sollten zu schlafen. Leider hatte ich meinen letzten Vorrat vor zwei Jahren weggeworfen. Aber selbst wenn ich noch welche gehabt hätte, hätte ich es nicht riskiert, sie heute Nacht zu nehmen. Ich brauchte einen klaren Kopf, falls etwas passierte. »Was machst du in meinem Schlafzimmer?«
»Jemand ist gerade in deine Einfahrt gefahren«, antwortete Lena.
Der Himmel draußen war dunkel. Das rote Leuchten des Weckers sorgte für gerade genug Licht, um Lenas Gestalt auszumachen, als sie sich neben mich setzte, ohne dabei meinen Arm loszulassen. Ich hörte, wie sich Klecks in seinem Behälter rührte; des Nachts schlief er in einem Hundert-Liter-Aquarium, das mit Erde und Obsidiankies ausgekleidet war.
Irgendwo im Innern des Aquariums zirpte eine einzelne Grille, vermutlich aus ihrem Versteck aufgescheucht von dem ganzen Lärm. Das war ein Fehler. Ein Trippeln von Füßen, ein schwacher Funke, und die Grille war gegrillt.
Ich knipste eine Lampe an. Das half mir, die Traumbilder zu verjagen. Klecks erstarrte; die Grille lag in seinen Vorderbeinen. Er beobachtete mich, als wollte er sich vergewissern, dass ich nicht gleich hineingriff und ihm seine Zwischenmahlzeit klaute, dann zog er sich in ein dickes Netz zurück, das mich an ungesponnene Baumwolle erinnerte.
Ich raffte das Taschenbuch von Robert Heinlein auf, das ich auf dem Nachttischchen gelassen hatte, während ich gegen einen Schauder ankämpfte. Ich war in meiner Bluejeans eingeschlafen, und die kalte Luft sorgte für Gänsehaut auf meinen Armen und der nackten Brust.
Lena glotzte unverfroren, während ich einen Flanellbademantel vom Boden aufhob und anzog. Ich ignorierte sie und schlug das Buch auf der Seite auf, die ich zuvor
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