Die Buchmalerin
murmelte Roger. »Gibt es dort Feuerholz?«
»Ich habe vorhin welches gesammelt.«
»Gut.«
Sie erwiderte nichts, sondern stand auf, wobei sie sich mit den Händen auf dem schneebedeckten Mauerrest abstützte. Roger glaubte wahrzunehmen, dass sich ihr Gesicht vor Schmerz verzog. Er achtete jedoch nicht länger darauf, denn sie bückte sich nach dem Messer, das neben ihm im Schnee lag. Er griff rasch danach, ehe sie es fassen konnte, und schob es in seinen Gürtel.
»Ihr habt wohl nichts dagegen, dass ich es an mich nehme, solange wir zusammen unterwegs sind?«, fragte er ruhig.
Donata kehrte sich wortlos ab. Langsam schritt sie über den unebenen Schnee und auf die angesengten Balken zu, die Reste der rückwärtigen Hausseite. Roger blickte ihr kurz nach, ehe er gleichfalls aufstand. Sie war eine schmale, dünne Gestalt vor dem sich eindunkelnden Himmel. Das rechte Bein zog sie nach, sie hinkte stark. Am Fuß trug sie keinen Schuh, sondern er war dick mit schmutzigen Stoffstreifen umwickelt.
Er schüttelte den Schnee von seinem Mantel und folgte ihr. Als er neben sie trat, versteifte sich ihr Körper kaum merklich. Dies war das einzige Zeichen dafür, dass sie ihn bemerkte. Roger fluchte innerlich. Wie um alles in der Welt sollte er während der nächsten Tage und Wochen mit ihr zurechtkommen? Unauffällig betrachtete er sie von der Seite. Bei jedem Schritt, den sie tat, spannte sich ihr Gesicht an – der Fuß schien ihr wirklich starke Schmerzen zu bereiten. Gleichzeitig jedoch schien ihre Aufmerksamkeit auf die Umgebung gerichtet zu sein. Auf eine seltsame, intensive Weise, als ob sie die matte, bläulich graue Farbe des Schnees, die mit Eis bedeckten Äste und die lang gezogenen, sattelförmigen Hügel, die sich vom Abendhimmel abhoben, in sich aufnehmen wollte. Mit allen Einzelheiten und jeder Farbschattierung. Er erinnerte sich daran, wie sie gesagt hatte: »Ich pflege mir Dinge und Menschen genau einzuprägen.«
Als sie das Backhaus erreicht hatten, das unter der dicken Schneeschicht fast wie eine Halbkugel wirkte, zog sie die niedrige Tür auf, bückte sich und schlüpfte durch die Öffnung. Roger tat es ihr nach. Im Innern war es fast dunkel. Er konnte spüren, dass sie nicht weit entfernt von ihm stand, und rechnete fast damit, dass sie ihn noch einmal auf irgendeine Weise angreifen würde. Aber stattdessen hörte er am Rascheln ihrer Gewänder, dass sie sich niedersetzte. Er entspannte sich ein wenig und holte aus seinem Bündel Feuerstein und Zunder hervor sowie eine kleine Öllampe. Nachdem er Funken geschlagen und den Docht der Lampe daran entzündet hatte, sah er sich in dem engen Raum um, der so niedrig war, dass er kaum aufrecht darin stehen konnte. Vor der Öffnung des gemauerten Ofens lagen einige Holzscheite und trockene Äste. Donata hockte in einer Ecke auf dem Lehmboden. Sie hatte den Rücken gegen die Wand gelehnt und ihr rechtes Bein ausgestreckt. Wieder musterte sie ihn auf diese eigentümliche Weise.
Roger stellte die kleine Lampe auf einen Sims im Mauerwerk des Ofens. Schweigend schob er Holz in das Feuerloch und steckte die dünnen Zweige in Brand. Nachdem er sich überzeugt hatte, dass die Flammen auch auf die Scheite übergriffen, wandte er sich Donata zu.
»Macht den Stoff ab!« Er deutete auf die Tuchstreifen, die um den Fuß gewickelt waren.
»Was meint Ihr?« Donata starrte ihn an.
»Los, macht schon! Ich verstehe etwas von Krankheiten. Vielleicht kann ich Euch helfen. Immerhin scheint Ihr Schmerzen zu haben. Außerdem ist Euer lahmes Bein hinderlich für uns.«
»Ach ja, Euer Auftrag.«
Roger hockte sich vor sie auf den Boden. »Ja, mein Auftrag … Aber ich hätte auch angeboten, Euch zu helfen, wenn ich den Auftrag nicht erfüllen müsste. Es ist Eure Sache, ob Ihr weiter Schmerzen haben wollt oder nicht.«
Schließlich bückte sich Donata und entfernte die Tuchstreifen, die um den Fuß gewickelt waren. Roger betastete ihn. Er war schmal und feingliedrig wie ihre Hände, mit einer dicken Hornhaut an den Ballen und der Ferse. Als er aufwärts über die Ferse in Richtung des Gelenks strich und mit den Fingern vorsichtig in eine kleine Einkerbung am Knochen drückte, schrie sie leise auf.
»Wie lange habt Ihr das schon?«
»Damals, nachdem ich aus dem Tor des Klosters gerannt bin … Ich habe ein Boot ins Wasser geschoben. Dabei bin ich auf dem vereisten Boden ausgeglitten – damit hat es angefangen. In der Zeit, während ich bei den Beginen war und wenig laufen
Weitere Kostenlose Bücher