Die Buchmalerin
abgetastet hatte, schaute er erneut nach dem Sonnenstand. Dabei bemerkte er, dass ein leichter Dunst von Norden her heraufzog. Nein, es war Unsinn und zu gefährlich, noch an diesem Tag weiterzugehen, denn falls der Dunst sich verdichtete, war der Stand der Sterne nicht mehr zu erkennen. Aber bei Tagesanbruch mussten sie aufbrechen. Auch wenn es keinen ersichtlichen Grund für seine Unruhe gab – er hatte gelernt, seinen Ahnungen zu vertrauen.
»Morgen ziehen wir weiter«, sagte er knapp.
Donata nahm es wortlos zur Kenntnis.
Roger zog frische Stoffstreifen und einen Tiegel mit Salbe aus seinem Bündel, das er mit nach draußen genommen hatte, und reichte ihr die Dinge. Während Donata den Verband erneuerte, ging er die Sachen durch, die er sonst noch in seinem Bündel mit sich führte – verschiedene Arzneien, Tücher, Messer und Pfeil und Bogen. Danach nahm er die Reste des gebratenen Hasen aus der Glut, wickelte sie in ein Stück Leder und bedeckte die Feuerstelle mit Schnee. Donata stand auf, ging langsam zur niedrigen Tür des Backhauses und bückte sich hindurch.
Erst nachdem die Dämmerung hereingebrochen war, folgte ihr Roger. Donata kauerte vor der Öffnung des Ofens.
Als sie ihn hörte, drehte sie sich kurz zu ihm um. Ihr Gesicht wirkte in dem Zwielicht, das in der Hütte herrschte, sehr bleich. »Ich schätze, es ist jetzt dunkel genug. Oder habt Ihr immer noch etwas dagegen, dass ich das Feuer anzünde?«
»Nein …« Roger hockte sich in einer Ecke nieder.
Donata entfachte geschickt die Glut. Als die Flammen hoch brannten, legte sie sich auf den Boden, wobei sie ihre Mäntel, den eigenen und den der Äbtissin, eng um sich zog und Roger den Rücken zukehrte. Er blieb noch eine Weile sitzen und schaute in die Flammen. Einige Male richtete sich Donata auf und schob frische Holzscheite nach. Schließlich legte auch er sich nieder.
Er schlief unruhig und erwachte noch vor Tagesanbruch. Als er sich zu Donata hinüberbeugte, bemerkte er, dass auch sie schon wach war.
Nachdem sie von dem Hasenfleisch gegessen hatten, das vom Vortag übrig geblieben war, sagte Roger unvermittelt: »Es ist besser, wenn Ihr den Mantel der Äbtissin hier zurücklasst. Es wird sich irgendein anderes Kleidungsstück für Euch finden.«
Donata zog stumm ihren Mantel aus grober Wolle aus und streifte den schweren der Benediktinerin ab, den sie darunter trug. Ebenso stumm sah sie zu, wie Roger das Feuer noch einmal anfachte, den Mantel Stück für Stück hineinschob und verbrannte. Als sie das kleine Haus verließen, waren im Osten die ersten fahlen Streifen der Morgendämmerung zu sehen.
*
Am Vormittag des darauf folgenden Tages erreichten Léon und ein halbes Dutzend Soldaten des Kardinals das Gehöft. Sie hatten Hunde bei sich. Es dauerte nicht lange, bis die Männer die schwachen Spuren im Schnee und die verscharrte Feuerstelle entdeckt hatten.
Der Diener des Kardinals befahl den Soldaten, mithilfe der Hunde den Ort zu durchsuchen. Er selbst bückte sich durch die niedrige Tür des Backhauses. Nachdem er den schmalen Raum zwischen der Fachwerkwand und dem gemauerten Ofen betreten hatte, sog er die Luft ein. Da er den schwachen Geruch von abgestandenem Rauch wahrzunehmen glaubte, hockte er sich vor die Öffnung des Ofens. Asche und verkohlte Äste lagen darin. Léon schob sie auseinander und begutachtete die Reste des Feuers.
An der Oberfläche waren das Holz und die Asche erkaltet. Aber als er die Hand tiefer hineinstieß, meinte er, einen Hauch von Wärme spüren zu können. Er beugte sich vor, ertastete einige Äste, die jenseits des Haufens lagen, und zog sie zu sich her. Sie waren verbrannt und von einer weißen Ascheschicht überzogen. Aber als er mit den Händen darüber fuhr, löste sich von einem der Äste ein Rindenstück ab und darunter wurde ein gelber Glutfunken sichtbar.
Der Diener starrte auf den Funken, während von draußen das Gebell der Hunde und die Stimmen der Soldaten an sein Ohr drangen. Wer auch immer sich in dieser Hütte aufgehalten und das Feuer entzündet hatte – er konnte den Ort noch nicht lange verlassen haben. Viel mehr als ein Tag war seither bestimmt nicht vergangen. Noch einmal durchsuchte Léon verkohlte Zweige und Asche und tastete das Innere des Ofens ab. In einer Ritze zwischen den Steinen fühlte er etwas Weiches.
Er löste es heraus und betrachtete es eingehend in dem grauen Licht, das in einem breiten Keil durch die niedrige Tür des Backhauses fiel. Ein Stofffetzen, nicht
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