Die Buchmalerin
schützen sollte, und beugte sich hinaus.
Kurz darauf verließ Jörg zusammen mit dem Schreiber das Haus. Plötzlich glaubte sie zu sehen, wie sich ein Schatten über ihren Sohn senkte. Die unbestimmte Beklemmung, die sie zuvor empfunden hatte, wandelte sich in Angst. Sie wollte Jörg zurückrufen, sagte sich dann jedoch, dass er nur in das Zwielicht getreten war, das jetzt, am späten Nachmittag, den Grund der Gasse füllte. Nein, Jörg hatte Recht. Diese Reise mit dem Tross des Kardinals konnte sein Glück bedeuten und der Beginn all dessen sein, was sie sich immer für ihn erträumt hatte. Dennoch wich die vage Angst nicht gänzlich von ihr, als sie sich schließlich vom Fenster abwandte und zu ihrer Arbeit zurückkehrte.
D onata biss hastig von ihrem Brotstück ab. Sie wusste, es war die letzte Nahrung, die sie und Roger bei sich hatten. Trotz des groben Wolltuchs, das sie über ihrem Mantel trug, fror sie erbärmlich. Der Wind auf der Hügelkuppe der Eifel war eisig – die Kälte hatte während der vergangenen Tage nicht nachgelassen – und drang bis auf ihre Haut. Friedrichs Spitzel hatte das Tuch in einem abgelegenen Bauernhof gekauft. Dort hatte er auch das Maultier erstanden. Ein ältliches Tier mit spitzen Knochen, das seinen braungrauen Kopf an einem Baumstamm rieb. Wenn es das Gelände erlaubte, war sie immer wieder auf ihm geritten, um ihren kranken Fuß zu schonen. Die Schmerzen hatten nachgelassen und waren, solange sie das Bein ruhig hielt, nur noch als ein dumpfes Pochen zu spüren.
Zwischen den dunkelgrauen tief fliegenden Wolken bildete sich ein silbrig schimmernder Spalt. Dort stand die Mittagssonne und dort, im Süden, lag Trier, das Ziel von Friedrichs Spitzel … Vier Tage lang waren sie jetzt über das verschneite Gebirge gezogen. Etwa noch einmal so lange würden sie benötigen, bis sie die Stadt erreichten. Irgendwann während dieser Zeit musste es ihr gelingen, ihrem Gegner zu entkommen.
Donata warf Roger, der ebenfalls hastig aß, einen raschen Blick zu. Während der vergangenen Tage war er nicht nur ihr gegenüber stets sehr wachsam, nein, sein ganzes Verhalten war angespannt gewesen. Und wenn sie im Wald, im Schutz von Strauchwerk oder in einer Scheune übernachtet hatten, hatte er kaum geschlafen. Sie hatten nie darüber gesprochen, aber sie wusste, dass er mit Verfolgern rechnete.
»Die Wolken bringen wieder Schnee«, sagte sie zögernd.
»Ja, und es ist nicht schlecht, wenn unsere Spuren verwischt werden …« Er bückte sich, hängte sein Bündel um und fasste das Maultier am Halfter. »Los, macht schon! Hügelab könnt Ihr aufsitzen. Bevor der Schnee niedergeht, will ich noch ein Stück weiter nach Süden kommen.«
Der Schneefall setzte am späten Nachmittag ein. Anfangs ging er in dünnen Flocken nieder. Doch bald war er so dicht, dass sie kaum noch die Hand vor Augen sehen konnten. Bei einem Gesträuch, das auf der windabgewandten Seite einer Felsgruppe wucherte, machte Roger schließlich Halt und bedeutete Donata abzusteigen. Nachdem er das Maultier zwischen die Büsche gezerrt hatte, kroch sie hinterher. Im Schutz des Strauchwerks kauerten sie sich eng aneinander und schmiegten sich gegen das Tier.
Dann und wann verfiel Donata in einen leichten Schlaf, aus dem sie aber immer wieder die Kälte oder ihr leerer Magen aufschreckte. Manchmal erwachte sie auch davon, dass sich Roger neben ihr bewegte. Als endlich die Morgendämmerung anbrach, war sie steif vor Kälte und schwach vor Hunger. An Rogers blau gefrorenem Gesicht konnte sie ablesen, dass es ihm nicht besser ging.
Da der Schneefall aufgehört hatte, setzten sie ihre Wanderung fort. Während des ersten Wegstücks hockte sich Donata auf das Maultier. Aber bald war ihr so eisig, dass sie es vorzog zu laufen und von dem Rücken des Tiers glitt. Roger nahm dies zur Kenntnis, ohne etwas dazu zu sagen. Mit dem Tier am Halfter stolperte sie hinter ihm her. Ihr Fuß schmerzte wieder. Sie fragte sich, wie Friedrichs Kundschafter es wohl anstellen würde, an neue Nahrung zu kommen, war jedoch zu stolz, ihn darauf anzusprechen.
Auf schmalen Pfaden kämpften sie sich durch das Unterholz und überquerten einige Hügel. Obwohl der Himmel bedeckt und die Sonne nirgends zu sehen war, schien Roger genau zu wissen, welche Richtung er einschlagen musste. Er blieb zwar manchmal stehen, um sich zu orientieren, zögerte aber nie wirklich lange und bahnte sich langsam, aber gleichmäßig seinen Weg. Von einer dumpfen Gleichgültigkeit
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