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Die Buchmalerin

Die Buchmalerin

Titel: Die Buchmalerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Beate Sauer
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um.
    »Ja …« Auf einem groben Brett, das in eine der Lehmwände eingelassen war, standen einige Tonschalen. Sie nahm eine davon. Als sie zu dem Lager zurückging, streifte ihr Blick erneut das Stoffbündel, das unter den Bewegungen des Säuglings schwankte. Ein rotes Gesicht mit aufgerissenem, zahnlosem Mund, die Augen im Schreien zusammengekniffen wie die blinden Augen eines neugeborenen Tieres … Sofort sah Donata wieder beiseite.
    Sie setzte sich neben Roger auf die Strohsäcke. Noch immer betastete er die mit Eiter gefüllte Beule. Sein Gesichtsausdruck war selbstvergessen und konzentriert. Es ist, als ob er das, was er sieht und unter seinen Händen fühlt, ganz in sich aufnehmen möchte, dachte sie unwillkürlich. Nun griff er in sein Bündel, das er neben sich abgestellt hatte, und zog ein Messer und ein Tonfläschchen hervor.
    »Schiebt die Schale unter ihren Arm und haltet ihn fest«, sagte er knapp.
    Donata griff nach dem Arm, den ihr die Frau willenlos überließ. Ihre Augen waren noch immer weit geöffnet, schienen jedoch blicklos, als ob sie nicht recht verstehen würde, was um sie herum geschah.
    Roger öffnete die kleine Flasche und goss eine klare Flüssigkeit über den Eiterherd. Der scharfe Geruch von Schnaps drang in Donatas Nase. Doch sobald er das Messer auf der Haut ansetzte und sie mit zwei langen, kreuzförmigen Einschnitten ritzte, stieg der Gestank von Eiter auf. Die Kranke zuckte zusammen, rührte sich jedoch nicht weiter.
    »Haltet jetzt die Schale fest!«, befahl er. Er drehte den Arm, sodass der Eiter ablaufen konnte. Zuerst entwich er in einem dünnen weißlichen Rinnsal, dann in dicken Klumpen. Als er vollständig abgelaufen war, goss Roger noch einmal Schnaps über die Wunde. Danach nahm er ein dünnes Leinentuch aus seinem Bündel, tränkte es mit dem Alkohol und legte es über die Einschnitte. Schließlich wandte er sich ab. Einen Moment blieb er mit nach vorn gebeugten Schultern auf dem Rand des Strohlagers hocken.
    »An welcher Krankheit leidet sie?«
    »Ein Abszess …« Roger schaute zu der Frau hin, die nun mit geschlossenen Augen dalag und schwer atmete. »Falls der Eiter noch nicht in ihr Blut gelangt ist, wird sie es überleben, andernfalls nicht.«
    »Wollt Ihr sie und das Kind hier einfach zurücklassen …?«
    Roger kehrte Donata das Gesicht zu. Es wirkte sehr müde. Einen Augenblick lang starrten sie sich zornig an, ehe er sich steif erhob. Er deutete mit einer Kopfbewegung auf das ärmliche, luftige Bettchen aus Tüchern, in dem das Kind immer noch schrie.
    »Seht zu, ob Ihr den Säugling beruhigen könnt …« Er bückte sich nach seinem Bündel, hängte es um die Schulter und ging zur Tür.
    Donata lauschte nach draußen. Das wütende Kläffen des Hundes war leiser geworden. Sie glaubte, Rogers Stimme zu hören, die in einen seltsamen, hohen Singsang verfallen war. Nach einer Weile trat sie an das Bettchen. Der Säugling krümmte sich. Sie zögerte, betrachtete sein verzerrtes Gesicht, hob ihn jedoch schließlich heraus. Die Stofffetzen, in die er gewickelt war, waren nass und stanken. Suchend blickte sie sich in der dämmrigen Hütte um. In einem Weidenkorb unterhalb des Wandbords lagen Tücher. Sie wollte welche daraus nehmen, besann sich jedoch. Nachdem sie mit den Füßen Stroh am Boden zusammengescharrt hatte, setzte sie den Säugling darauf ab, ergriff eine der Schalen, die auf dem Wandbrett standen, und ging nach draußen.
    Friedrichs Spitzel kauerte, ein Stück entfernt von dem Hund, im Schnee und sprach immer noch in dem merkwürdigen, singenden Tonfall auf ihn ein. Das Tier saß auf den Hinterbeinen, seine Ohren waren angelegt und es knurrte. Der Himmel hatte sich eingedunkelt. Ein leichter Schneefall ging nieder, nicht stark genug, als dass er die Umgebung auslöschte. Das Maultier, das am Rand der Lichtung angebunden war, hatte seinen Kopf gesenkt, schnaubte und scharrte mit den Hufen im Schnee.
    Donata ging darauf zu. Sie war noch nicht weit gekommen, als sie Rogers knirschende Schritte hörte. Er packte sie grob am Arm, hielt sie fest und zog sie zu sich herum.
    »Was soll das? Wo wollt Ihr hin?«
    »Das Maultier holen und nach drinnen bringen … Oder ist es Euch lieber, wenn es die Wölfe zerreißen?«
    Einen Moment lang musterte er sie noch durchdringend, ehe er die Hände von ihr nahm und sich brüsk abwandte.
    Sie füllte Schnee in die Schale, band das Maultier los und brachte es in die Hütte. Danach säuberte sie das Kind – es war ein Junge

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