Die Buchmalerin
erfüllt, folgte ihm Donata.
Sie hatten eben den Fuß des nächsten Hügels erreicht, als Roger so abrupt stehen blieb, dass sie fast gegen ihn gestoßen wäre. Er neigte den Kopf, als ob er lauschte. Nun hörte auch sie es. Aus der Ferne war das Bellen eines Hundes zu hören und noch etwas anderes – das Schreien eines Säuglings. Wortlos wandte Roger sich in die Richtung, aus der die Laute kamen.
Kurz darauf hatten sie die letzten Baumreihen hinter sich gelassen und standen am Rand einer kleinen Lichtung. In ihrer Mitte erhob sich ein Kohlenmeiler, den einige ärmliche, schiefe Hütten umgaben. Aus einer dieser Hütten erklang nun ganz nah das Säuglingsgeschrei. Ein großer, grau gefleckter Hund bellte sie wütend an, kam jedoch nicht auf sie zugerannt. Eine Leine, die um einen Pfosten geschlungen war, hielt ihn zurück. Neben sich hörte Donata das Maultier ängstlich schnauben. Nur die schwachen Abdrücke von Tieren durchzogen die hohe Schneedecke, die sich über den Grund der Lichtung breitete. Ansonsten waren keinerlei Spuren zu erkennen.
»Ich will versuchen, etwas zum Essen einzuhandeln«, bemerkte Roger kurz angebunden. »Zu jagen kostet zu viel Zeit.« Er griff nach dem Halfter, schlang ihn um einen Ast und bedeutete Donata, mit ihm zu kommen. Während sie die Lichtung überquerten, steigerte sich das wütende Bellen des Hundes. Doch niemand trat aus einer der Hütten, um nachzusehen, wer sich näherte. Als sie die Köhlerei fast erreicht hatten, mischte sich ein Jaulen in das Bellen des Tiers. Es war ein riesiger Mischling, mit dichtem, struppigem Fell. Doch dort, wo der Strick, mit dem er festgebunden war, um seinen Hals lag, war das Fell bis auf die Haut abgescheuert. An der Brust des Hundes traten die Rippen hervor und an seiner Seite befand sich eine blutige Wunde.
Etwas hier ist seltsam, ging es Donata durch den Kopf. Sie nahm wahr, dass sich Rogers Gesicht anspannte. Er spürte es auch.
Roger drückte die aus groben Brettern gezimmerte Tür der größten Hütte auf – aus ihr ertönte das Säuglingsgeschrei – und bückte sich unter den Türsturz. Donata tat es ihm gleich. Im Inneren war es so dunkel, dass sie zuerst kaum etwas erkennen konnte. Ein durchdringender Geruch von Exkrementen lag in der Luft. Stroh raschelte unter ihren Füßen. Als sich ihre Augen etwas an das Dämmerlicht gewöhnt hatten, sah sie das Stoffbündel, das an Seilen von der Decke hing. Daraus ragte ein kleiner Arm, die Finger zur Faust geballt, und bewegte sich schwach. Auf einem Strohlager in einem Winkel des höhlenartigen Raums lag eine Gestalt. Eine Frau, wie Donata im Nähergehen erkannte. Zuerst dachte sie, die Frau sei tot. Doch nun rührte sie sich und hob schwerfällig den Kopf, von dem das blonde Haar strähnig herabhing. Ihre Augen hatten einen fiebrigen Glanz und ihr rundes Gesicht war von Schweiß bedeckt. Als ihr Blick auf Roger fiel, stöhnte sie, ihre Hände verkrallten sich in die sackartige Decke und sie rutschte auf dem Strohlager zur Hüttenwand hin.
»Ich will Euch nichts tun … Was ist hier geschehen?«, in seiner Stimme schwang Ungeduld mit. Statt einer Antwort stieß die Frau wieder nur ein Stöhnen aus und klammerte sich an die dicke, schmutzige Decke wie an einen Schild.
Donata trat neben Roger in den grauen Lichtschein, der durch die niedrige Tür fiel. »Verhaltet Ihr Euch immer so freundlich gegenüber den Kranken?«, raunte sie ihm zornig zu. Sie wandte sich an die Frau, die sich nun, als sie Donata sah, ein wenig beruhigte. »Er ist ein Arzt … ein Heiler … Vielleicht kann er Euch helfen.«
Das Schreien des Säuglings, das für kurze Zeit nachgelassen hatte, schwoll wieder zu voller Stärke an. Der Blick der Frau wanderte dorthin, wo das Lumpenbündel hing. »Mein Kind … Es hat Hunger …« Sie wollte sich aufrichten, sank jedoch sofort wieder auf das Lager zurück.
»Allzu schlecht kann es ihm nicht gehen, sonst könnte es nicht derart schreien«, bemerkte Roger trocken. »Wie lange habt Ihr das Fieber schon?«
Die Kranke schaute zu Donata, die ihr zunickte. Statt einer Antwort schob die Frau den Ärmel ihres schmutzigen Hemdes zurück. Auf dem rechten Oberarm wurde eine birnenförmige, dick angeschwollene Eiterbeule sichtbar. Roger hockte sich auf den Rand des Lagers und berührte den Eiterherd. Die Frau zuckte zurück, ließ es dann jedoch zu, dass er die Beule abtastete.
»Seht nach, ob Ihr hier irgendwo ein flaches Gefäß findet.« Er drehte sich kurz zu Donata
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