Die Buchmalerin
»Was sollte es anderes sein als eine Strafe des Himmels?«, entgegnete sie heftig. »Ihr seid doch sicher nicht der Mensch, der glaubt, dass Gott gut ist. Anders als Bilhildis, die Begine, die mich in Köln vor der Kälte und dem Schnee gerettet und die mich gesund gepflegt hat …«
»Ich weiß nicht, ob Gott gut oder schlecht ist.«
»Euer Kaiser, sagt man, scheint in Zweifel zu ziehen, ob es Ihn überhaupt gibt …«
»Ich hätte nicht gedacht, dass in diesem Teil des Reiches so viel über den Staufer geredet wird, und es ist bemerkenswert, welche Aussagen über ihn kursieren. Laut der Äbtissin des Klosters Maria im Kapitol soll Friedrich auch die Existenz der unsterblichen Seele anzweifeln …«
Roger schnippte einige Strohhalme in Richtung des Feuers. »Ich weiß nicht, was Friedrich in diesen Fragen wirklich denkt. Ich glaube aber nicht, dass Gott derartige Strafen schickt … Vielleicht gibt es einen anderen Grund dafür, dass Euch Eure Hand nicht mehr gehorcht.«
Roger wollte noch etwas hinzufügen. Aber in diesem Moment war von dem Strohlager her ein jähes Rascheln zu hören.
Die Kranke wälzte sich stöhnend herum. Er stand auf und ging zu ihr. Die Frau hatte sich auf die Seite gedreht, ihr Mund war leicht geöffnet. Ihre Augen wirkten eingefallen, als hätte sie sich tief in sich selbst zurückgezogen, jenseits des Reichs der Träume. Er hielt ihr die Hand vor den Mund und konnte schwach ihren Atem spüren. Ihr Gesicht war heiß und von Schweiß bedeckt.
»Was ist mit ihr?«, hörte er Donata fragen.
Er wandte sich zu ihr um. »Entweder dem Körper der Frau gelingt es, das Fieber zu besiegen, oder sie stirbt. Und es entscheidet sich in dieser Nacht. Ich kann nichts tun«, sagte er schroff.
Sie nickte. Ihr Blick wanderte zu dem Stoffbündel, in dem der Säugling schlief. Aber sie sagte nichts, sondern wickelte sich in ihren Mantel und legte sich in der Nähe der Feuerstelle nieder. Nachdem Roger die Haut des Huhns und einen trockenen Brotkanten, den er auf dem Bord bei den hölzernen Schalen gefunden hatte, an den Hund verfüttert hatte, hockte er sich vor dem Strohlager auf den Boden. Müde schmiegte er seinen Rücken gegen die Säcke. Der Hund gähnte und stand auf, drehte sich einmal um sich und ließ sich dann neben ihn fallen. Roger wollte ihn wegschieben, war aber plötzlich beinahe dankbar für die Nähe des Tiers. Irgendwann überkam ihn der Schlaf.
Einige Male schreckte er auf. Vom Wald her war das Heulen der Wölfe zu hören und der Hund knurrte. Die Tiere kamen jedoch nicht näher an den Meiler heran. Einmal glaubte Roger, in dem schwachen Licht, das die glimmenden Äste in der Feuerstelle verbreiteten, Donata neben dem Stoffbündel stehen zu sehen.
Irgendwann hatte er einen wirren Traum, in dem er ein Junge war und einen Falken, dessen Kopf mit einer Haube bedeckt war, auf der Faust trug. Langsam und eindringlich sprach er auf den Vogel ein. Dann trug er selbst eine Haube über dem Kopf und eine Stimme redete ihm zu. Und schließlich spürte er die grobe Hand des Falkners an seiner Schulter und sah Menschen vor sich – drohende und unbeteiligte Gesichter –, auf die ihn der Mann zuzerrte. Das Gefühl von Panik war ihm noch gegenwärtig, als er in der Dunkelheit erwachte. Einige Augenblicke benötigte er, um wieder ruhig zu werden. Er fuhr sich mit den Händen über das Gesicht, schüttelte benommen den Kopf und verwünschte sein Schicksal, das ihn in diese Gegend zurückgeführt hatte.
*
Kurz nach Tagesanbruch, etwa eine halbe Wegstunde von dem Kohlenmeiler entfernt, ritt Léon an der Spitze seiner Soldaten einen bewaldeten Abhang hinunter. Obwohl es noch nicht völlig hell war, konnte er erkennen, dass dichte Wolken den Himmel überzogen. Wolken, die neuen Schnee bringen würden. Der Diener des Kardinals murmelte einen Fluch. Wegen der Schneefälle der vergangenen Tage hatten sie die Spur der Frau verloren. Er und die Soldaten waren in Richtung Süden geritten, hatten sich dann und wann in kleine Gruppen geteilt und versucht, das Gebiet zu durchkämmen. Aber bislang war ihre Suche erfolglos geblieben. Nicht einmal der Leithund hatte die Fährte wieder aufnehmen können.
Der Diener lenkte eben sein Reittier um einen umgestürzten Baumstamm, als er eine plötzliche Bewegung im Schnee wahrnahm. Im nächsten Augenblick wieherte ein Pferd schrill hinter ihm. Ein Soldat schrie und Hunde bellten jaulend auf. Léons eigenes Pferd wurde unruhig und versuchte auszubrechen. Doch mit
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