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Die Buchmalerin

Die Buchmalerin

Titel: Die Buchmalerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Beate Sauer
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den schlauen Augen wahrzunehmen.
    Die schmale Gasse zwischen den niedrigen Häusern war menschenleer. Vom Abhang außerhalb des Dorfes ertönte das Geschrei der Kinder. Roger suchte den Boden nach Spuren im Schnee ab und wollte zuerst zu der Öffnung in der Umfriedung laufen, durch die Donata und er vor einiger Zeit das Dorf betreten hatten. Doch zu seinem Erstaunen führten die unregelmäßigen Abdrücke, die ihre Schritte hinterließen, nicht in Richtung der Felder, sondern ins Innere des Dorfes. Rasch folgte er ihnen, während er sich zornig und merkwürdig enttäuscht fühlte. Die Fußspuren liefen auf den hohen, geflochtenen Zaun zu, der die kleine Kirche umgab, und endeten schließlich vor dem Eingang, über dem sich die ungeschlachte Steinfratze eines Dämons befand. Roger stieß die Tür auf.
    Auf einer groben Bank, die vor einer Seitenwand stand, saß Donata. Als sie die Tür zufallen hörte, wandte sie sich um. Sie hatte geweint, aber ihr Gesicht hatte den abwesenden Ausdruck verloren.
    Der Zorn, den Roger empfunden hatte, verflog. Er fühlte sich plötzlich unsicher und ließ sich neben ihr nieder. Gelbe Sterne auf leuchtend blauem Grund waren auf die flache Decke der Kirche gemalt. Ein roh gezimmerter Holztisch stand in der kleinen Apsis. Irgendjemand hatte einen Tonkrug mit einem Ebereschenzweig darauf gestellt. Das Rot der Beeren hob sich beinahe glühend von den weiß gekalkten Wänden ab.
    »Was mit den Beginen geschehen ist, tut mir Leid«, sagte er unbeholfen.
    »Ihr habt es gewusst, nicht wahr?«
    »Dass Enzio die Frauen festnehmen ließ, ja.« Er wandte die Augen ab. Plötzlich hatte er das Gefühl, sich ihr gegenüber schuldig gemacht zu haben. »Aber dass die Begine Bilhildis vom Pöbel getötet worden ist, wusste ich nicht. Und auch nicht, dass der Kardinal die Frauen des Mordes an Gisbert beschuldigen würde.«
    »Enzio hat mich in dem Haus in der Stolkgasse gesucht?« Ihre Stimme war leise, es war eher eine Feststellung als eine Frage.
    »Ja, auch wenn ich Euch nicht sagen kann, wie er davon erfahren hat, dass Ihr dort wart.«
    Sie blickte auf ihre Hände hinunter. Erst jetzt bemerkte er, dass sie ein Pergament umschlossen hielten, das mit Schriftzeichen versehen war.
    »Ich bin das heimliche Feuer in allem, und alles duftet von mir, und wie der Odem im Menschen, Hauch der Lohe, so leben die Wesenheiten und werden nicht sterben, weil ich ihr Leben bin«, las sie langsam vor und ein bitterer Unterton schwang in ihrer Stimme mit. »Bilhildis hat mir das Pergament gegeben, als wir uns vor dem Kloster Maria im Kapitol voneinander verabschiedeten. Sie glaubte, dass Gott gut ist … Wir hatten eine Abmachung. Ich würde zu den Benediktinerinnen gehen, wenn sie sich vor der Inquisition verbergen und die Stadt verlassen würde. Aber sie ist nicht gegangen … Wahrscheinlich hat jemand sie um Hilfe gebeten.«
    »Sie war diejenige, die den Kranken um derer selbst willen geholfen hat?« Roger fragte es ohne Spott.
    Donata schaute ihn forschend an. »Ja.« Sie faltete das Pergament zusammen und schob es in ihr Bündel. Als sie ihn wieder anblickte, klang ihre Stimme fest. »Ihr wisst ebenso gut wie ich, dass Bilhildis, der Begarde und die Frauen aus der Stolkgasse nichts mit dem Mord an Gisbert, dem Inquisitor, zu tun haben.«
    Er nickte und fragte sich, worauf sie hinauswollte.
    »Ich will, dass es aufhört …, dass die Unschuldigen unter den Mächtigen zu leiden haben.« Ihr Blick ließ ihn nicht los. »Ihr wollt den Zeugen des Mordes für Euren Kaiser haben. Ich bin mit Euch gekommen, weil Ihr mir keine Wahl gelassen habt. Aber ich wollte, sobald sich mir eine Gelegenheit bot, fliehen und versuchen, nach Westen zu entkommen.«
    Roger lächelte freudlos. »Das habe ich erwartet.«
    »Ich verspreche Euch, dass ich Euch wirklich helfe, den Zeugen zu finden«, entgegnete sie ruhig. »Wenn Ihr mir umgekehrt versprecht, dass Ihr ihn nach Köln bringt und dazu bewegt, bei dem Gerichtsverfahren gegen Enzio von Trient auszusagen. Danach könnt Ihr ihn für den Staufer haben …«
    Roger wollte etwas entgegnen, aber sie fuhr mit erhobener Stimme fort: »Wenn Ihr mir mit der Inquisition drohen wollt, gut, versucht, mich auszuliefern, aber ich garantiere Euch, dass ich alles tun werde, damit der Kardinal Euch findet und Euren Auftrag vereitelt.«
    »Wollt Ihr etwa behaupten, dass Ihr mich in der Hand habt?«
    »Ich weiß, dass das nicht der Fall ist«, erwiderte sie heftig. »Auch wenn ich wünschte, es wäre

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