Die Buchmalerin
so. Denn Ihr habt die Wahl. Ihr könnt auf mein Angebot eingehen oder es bleiben lassen. Ich kann Euch zu nichts zwingen. Aber gemeinsam mit mir findet Ihr Euren Zeugen leichter, als wenn Ihr ihn allein sucht.«
»Euer Wort, das Wort einer rückfälligen Ketzerin, zählt nichts gegen einen päpstlichen Legaten.«
»Weniger als gar nichts …«
Roger schwieg und betrachtete die leuchtend roten Beeren des Ebereschenzweigs. Der Wind, der durch die beiden offenen Fensterhöhlen der Apsis fuhr, wehte Schneegeruch herein und ließ die welken Blätter des Zweigs leise rascheln. Er sagte sich, dass er nichts zu verlieren hatte, wenn er auf Donatas Angebot einging. Seine Pflicht war es vor allem, den Auftrag zu erfüllen, den Friedrich ihm erteilt hatte. Und nun, da ihr selbst daran gelegen war, den Mann zu finden, der wie sie Zeuge des Mordes gewesen war – doch hoffentlich war er, anders als sie, ein glaubwürdiger Zeuge –, würde sie ihn umso williger unterstützen.
»Gut, ich gehe auf Euren Handel ein«, sagte er schließlich.
Sie schaute ihn unverwandt an. »Ihr schwört es mir? Dass Ihr alles tun werdet, um den Zeugen zu dem Gerichtsverfahren gegen die Beginen zu bringen?«
Er hob die Augenbrauen. »Ihr traut mir nicht?«
»So wenig wie Ihr mir.«
»Bei was soll ich Euch schwören, dass ich Euch helfe? Bei meiner Seele?«, fragte er herausfordernd. »Nun, wenn ich ehrlich bin, schwankt meine Meinung darüber, ob ich eine Seele besitze. Und falls ja, vielleicht schreckt mich die Vorstellung nicht sonderlich, mich nach dem Tod in der Hölle wiederzufinden …«
»Nein«, sie schüttelte den Kopf und ihre Augen brannten. »Ihr sollt es mir bei dem Tun schwören, das Ihr liebt, bei Eurer Heilkunst. Dass sich alles, was Ihr tut, unter Euren Händen verkehrt und Euch misslingt, wenn Ihr Euren Schwur nicht haltet.«
»So wie es bei Euch und Eurem Malen der Fall ist?« Seine Stimme klang hart.
Sie zuckte zusammen, aber sie entgegnete rau: »Ja, genau so.«
»Und wenn ich auch nicht auf die Kraft eines derartigen Schwurs vertraue?«
»Oh, er wird wirken, glaubt mir …« Schmerz zeichnete sich auf ihrem Gesicht ab.
Sie maßen sich mit Blicken. Schließlich war es Roger, der die Augen abwandte und sagte: »Wie auch immer … Wir sollten gehen und das Maultier holen, sonst habt weder Ihr noch ich etwas von der Abmachung. Ich traue dem Bauern nicht. Ja, ich schwöre Euch, dass ich den Zeugen nach Köln zu dem Gerichtsverfahren gegen die Beginen bringen werde.«
*
Veit, der Schreiber, blickte über die lange Schlange des Trosses, die sich vor ihm einen Hügel der Eifel hinaufzog. Da und dort leuchtete der Griff einer Waffe oder eine Mantelspange im Licht der milchigen Wintersonne auf. Er stieß dem sandfarbenen, gut gebauten Wallach, den er ritt, die Fersen in die Seite. Das Pferd verfiel in einen schnelleren Trab und er genoss die Bewegung des Körpers unter ihm und die Genugtuung, ein Tier wie dieses reiten zu können. Jörg Sterzin, der sich hinter ihm befand, stieß einen übermütigen Schrei aus und gab seinem Pferd ebenfalls die Sporen.
Der gute Junge, dachte Veit spöttisch, er kann sein Glück immer noch nicht fassen, dass er den Tross des Kardinals nach Trier begleiten darf. Aber zugegeben – manchmal erschien ihm das, was in den letzten Wochen geschehen war, selbst wie ein Traum. Dass dem Kirchenfürsten aus dem Süden des Reichs an der Frau gelegen war, an der er, Gernot und Wulf sich nur hatten rächen wollen. Dass er sie in Köln wieder gefunden hatte. Und, als letzte glückliche Fügung, diese Sache, zu der ihn der Diener des Kardinals befragt hatte …
Veit lockerte die Zügel und gab sich dem gemächlichen Trab des Pferdes hin. Der Diener hatte wissen wollen, ob er jemals etwas von einer Buchmalerin, vielleicht einer entflohenen Nonne, gehört habe. Eine Buchmalerin, die auf irgendeine Weise Verbindung zu Albigensern habe. Denn möglicherweise betreffe dies die Vergangenheit jener Frau, nach der sie suchten. Er hatte sich sofort an die Geschichte erinnert, die er drei oder vier Jahre zuvor in einer Klosterherberge bei Reims vernommen hatte.
Die Inquisition forsche, so erzählte ein anderer Schreiber, mit dem er damals bei einer Suppe zusammengesessen hatte, nach einer mageren, unscheinbaren Frau, einer rückfälligen Ketzerin. Diese Frau, ein Albigenser-Balg, war von Benediktinerinnen aufgenommen und zur Buchmalerin ausgebildet worden. Doch sie hatte die Großmut der Nonnen schlecht
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