Die Buchmalerin
vergolten. Als ihre früheren Glaubensgenossen in der Nähe des Klosters auftauchten, hatte sie nämlich versucht, ihnen zur Flucht über den Kanal zu verhelfen. Die Inquisition hatte sich ihr gegenüber als nachsichtig erwiesen und sie nur dazu verurteilt, das Schandkreuz zu tragen. Doch die Frau hatte sich der Strafe bald entzogen und war aus dem Kloster geflohen.
Es musste sich um die Frau handeln, die ihm im Kloster Mayenfeld die Arbeit weggenommen hatte. Warum hätte sie sich sonst als Knabe verkleiden sollen? Auch sie war mager und unscheinbar gewesen und ihre Sprache hatte einen schwachen Anklang an das Französische gehabt. Der Name des Dominikaners, der das Inquisitionsverfahren gegen die Frau geleitet hatte, war Veit im Gedächtnis geblieben, denn der Schreiber hatte ihn mehrmals erwähnt. Er hieß Bérard. Vor wenigen Tagen hatte der Kardinal Boten nach Bérard ausschicken lassen.
Veits Blick wanderte wieder den Tross entlang. Enzio von Trient, der einen Fuchs ritt, hatte eben die Hügelkuppe erreicht. Selbst auf die Entfernung hin war seine breitschultrige, kräftige Gestalt deutlich zu erkennen. Nein, dachte der Schreiber einmal mehr, dem Kardinal geht es nicht nur darum, eine flüchtige Ketzerin zu finden. Etwas ganz anderes war hier noch im Spiel. Und es würde ihm gelingen, dies herauszufinden.
*
Als die Äbtissin die gemauerte Klosterküche betrat, kam ihr Schwester Regna, eine kleine, zierliche Frau, eilig entgegen.
»Ehrwürdige Mutter, ich wollte Euch eben aufsuchen. Ludger, der Bäcker, war hier und hat einige Säcke Weizen gebracht …«
»Ja, ich habe ihn mit seinem Karren wegfahren sehen.« Müde setzte sich die Äbtissin auf einen Schemel nahe der großen Feuerstelle. Ihre Knochen schmerzten und das Gehen und Stehen fiel ihr an diesem Tag wieder sehr schwer. Ludger, der Bäcker, war der Onkel einer der Beginen. Seit die Abtei unter strenger Bewachung stand, war er der erste Bewohner der Stadt, der eines der Gebäude hatte betreten dürfen. Selbst den Priestern war es verwehrt, in der Klosterkirche die Messe zu lesen.
Eine Sache, die die Äbtissin weniger belastete als manch eine der Nonnen, denn sie glaubte, Gott auch in den Gesängen des Stundengebets nahe zu sein. Aber ein Priester hätte ein Mittler zur Außenwelt sein können.
»Habt Ihr mit dem Bäcker gesprochen?«
»Ja …« Schwester Regna nickte eifrig. »Obwohl ein Soldat das Abladen der Säcke beaufsichtigt hat, konnte er mir ein paar Sätze zuflüstern. Die Beginen werden im Palast des Erzbischofs streng bewacht, sagt er. Keiner ihrer Verwandten darf zu ihnen. Aber ein Mann aus der Stadt, der ein Bediensteter des Erzbischofs ist, glaubt, aus den Kellern Schreie gehört zu haben. Was meint Ihr, ob der Legat des Papstes die Beginen foltern lässt?« Schwester Regnas Gesicht verdüsterte sich und ihre Stimme wurde leiser.
»Ja, das glaube ich …« Die Äbtissin senkte den Kopf und sah auf ihre gichtigen Hände nieder.
Schon als der Kardinal sie in der Stolkgasse überspielt hatte, hatte sie befürchtet, dass er die Folter gebrauchen würde. Ihre Hoffnungen und Gebete für die Frauen hatten nichts genutzt. Sie erhob sich und wehrte Schwester Regna ab, die ihr dabei helfen und sie stützen wollte. Auch wenn ich machtlos bin und mein Alter mit jedem Tag mehr spüre, den Weg zu meinen Zimmern kann ich noch allein bewältigen, dachte sie grimmig.
Langsam durchquerte sie die Halle des Klosters. Als sie die Treppe erreichte, die zu dem Arkadengang hinaufführte, erschien Schwester Gunhild am oberen Ende der Stufen. Die Nonne trug einen Mantel über ihrem Kleid. Sie zögerte, sobald sie die Äbtissin erblickte, schritt dann jedoch mit hoch erhobenem Kopf die Treppe herunter.
Adelheid wartete und musterte die Nonne aus ihren dunklen, beinahe schwarzen Augen. Als sie ihr gegenüberstand, bemerkte sie trocken: »Wie ich sehe, wollt Ihr das Kloster verlassen.«
»Der Legat des Papstes, der Kardinal von Trient, hat mir die Erlaubnis dazu erteilt.«
»Es ist wohl überflüssig, wenn ich Euch daran erinnere, dass Ihr zuallererst mir, als Eurer Äbtissin, den Gehorsam schuldig seid und nicht einem päpstlichen Legaten.« Zorn erfüllte die alte Frau, aber sie zwang sich, ruhig zu sprechen. »Gott hat mir die Seelen von Euch Schwestern anvertraut, damit ich sie hüte. Aber in Eurem Fall habe ich, fürchte ich, versagt. Denn wir sollen mitleidig sein und nicht richten und den Bedrängten Zuflucht gewähren. Dinge, die Euer Herz nicht
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