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Die Buchmalerin

Die Buchmalerin

Titel: Die Buchmalerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Beate Sauer
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sie fester. Erschrockene und lachende Gesichter ringsumher … Weit hinten im Hof glaubte Roger für einen Moment das Antlitz des anderen Kundschafters zu sehen.
    Roger bemerkte kaum, dass er losgegangen war. Den verschneiten, glitzernden Boden zu überqueren schien ihm sehr lange zu dauern.
    Als er den Kardinal beinahe erreicht hatte, kam ihm eine Eingebung. Er beugte sich zu ihm vor. »Ich an Eurer Stelle würde mich nicht mit der Frau abgeben«, sagte er halblaut. »Sie ist krank … Auf eine Weise, wie es die Dirnen oft sind.«
    Im fahlen Licht, das über dem Hof lag, verzog sich Enzios Miene in plötzlichem Ekel. Er stieß Donata von sich und schlug ihr hart ins Gesicht. Sie stöhnte auf, presste die Hand gegen den Mund und wäre gestürzt, wenn Roger sie nicht aufgefangen hätte. Er kümmerte sich nicht um die Spielleute und die anderen Menschen auf dem Hof, sondern stützte sie und führte sie zum Tor. Die Soldaten, die daneben Wache hielten, ließen sie ungehindert passieren.
    Als sie ein Stück die Gasse hinuntergegangen waren, riss sich Donata von Roger los. Sie machte einige hastige Schritte und kauerte sich auf den Boden. Mit einer fahrigen Bewegung griff sie in den Schnee, stopfte ihn sich in den Mund, spuckte ihn aus, griff erneut in die kalte Masse und rieb sich wieder und wieder damit über die Lippen. Etwas Dunkles rann ihr über das Kinn.
    Roger hockte sich neben sie und berührte ihre Unterlippe. Sie war aufgeplatzt, dort, wo ein Ring Enzios sie getroffen hatte, und blutete. Er fiel ihr in den Arm. »Lasst das sein, Ihr reißt die Wunde weiter auf und Ihr wischt die Farbe weg«, murmelte er.
    Ihr Gesicht war ganz nah, wirkte weißlich schwebend durch die Schminke, die ihre Haut bedeckte. Ihre Augen glänzten feucht. Er drückte Schnee zu einem festen Klumpen zusammen und presste ihn gegen die aufgesprungene Lippe.
    »Was habt Ihr Enzio gesagt?«, flüsterte sie. »Bevor er mich losgelassen hat.«
    »Ich habe gemeint, dass Ihr an der Krankheit der Dirnen leidet …«
    Ein Lachen, in das sich ein trockenes Schluchzen mischte, schüttelte sie.

    *

    Als sie den Schuppen erreichten, in dem sie schliefen, kauerte sich Donata davor erneut auf den Boden und presste Schnee in ihren Mund. Roger schaute sich rasch zu dem Wohnhaus um. Hinter keinem der Läden des zweistöckigen Fachwerkgebäudes, das die gesamte Schmalseite eines großen Gartens einnahm, brannte Licht. Und auch keine Stimmen waren zu hören. Dennoch konnte unversehens jemand nach draußen kommen. Es war nicht gut, wenn sie hier gesehen wurden.
    Er ging in die Knie. Die Hilflosigkeit, die er empfand, machte ihn wütend. Er fasste Donata unsanft an der Schulter und rüttelte sie. »Hört endlich auf damit! Was geschehen ist, ist geschehen und Ihr seid noch glimpflich davongekommen.«
    Sie stieß ihn weg und trotz der Dunkelheit, die über dem Garten lag, konnte er erkennen, dass ihre Augen zornig leuchteten. »In Eurem Mund hat der Kardinal seine Zunge nicht gehabt …« Sie schauderte.
    »Nein, aber wie ich Euch bereits sagte – Ihr reißt die Wunde nur weiter auf. Wenn Ihr nicht aufhört, ist Eure Lippe morgen fingerdick geschwollen.«
    Einige Momente verharrte sie reglos. Schließlich stand sie auf. Sie tasteten sich durch den Schuppen, vorbei an Karren und Säcken und stiegen die schmale Leiter hinauf. Oben, auf dem Heuboden, suchte Donata in dem getrockneten Gras nach ihrem Bündel, das sie dort versteckt hatte. Als sie es gefunden hatte, kroch sie zwischen das Heu. Roger legte sich neben sie.
    Nach einer Weile glaubte er, sie leise weinen zu hören. Er streckte die Hand nach ihr aus, zog sie jedoch wieder zurück, ehe er sie berührt hatte. Stattdessen schob er den Unterarm auf die Stirn und starrte zu dem Stück Himmel hinauf, das in der offenen Dachluke sichtbar war. Langsam wanderten die Sterne über das Viereck. Nach einer Weile verstummte das unterdrückte Schluchzen.
    Als schließlich die Zeit gekommen war, zu der ihn Friedrichs anderer Kundschafter aufsuchen wollte, richtete sich Roger vorsichtig auf und beugte sich über Donata. Ihr Gesicht konnte er in der Dunkelheit nur schemenhaft erkennen, aber sie atmete gleichmäßig. Darum bemüht, kein Geräusch zu verursachen, bewegte er sich über den Bretterboden und dann die Leiter hinunter. Nachdem er die Schuppentür aufgezogen hatte, löste sich eine Gestalt aus dem Schatten. Der andere Kundschafter bedeutete Roger, ihm in einen Durchgang zwischen dem Schuppen und einem anderen

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