Die Buchmalerin
anderen Schuppen sägten zwei Männer an einem aufgebockten Baumstamm. Ein weiterer Mann, der ebenfalls den groben Kittel eines Dieners trug, führte ein Pferd aus einem Stall. Roger war nirgends zu sehen. Sie hastete durch den mit Steinplatten ausgelegten Gang, der durch das Haus und zur Straße führte, und verwünschte sich, dass sie wegen ihres verletzten Fußes nicht schneller laufen konnte.
Obwohl es noch früh am Morgen war, herrschte auf der Gasse ein reges Kommen und Gehen. Donata folgte einem Jungen, der einige schnatternde und fauchende Gänse vor sich hertrieb. Ein Stück die Gasse hinunter, neben einem geöffneten Hoftor, stand eine zierliche, braunhaarige Frau. Sie winkte und rief ihr etwas zu. Donata benötigte einen Augenblick, ehe sie in der Frau Elisa erkannte, die Musikerin, die Roger den Zugang zu der Spielmannstruppe verschafft hatte. Sie zog ihren Schleier tiefer ins Gesicht und lief, so schnell sie konnte, weiter.
Es musste ihr gelingen, Roger abzuschütteln. Sie hatte gewusst, dass sie ihm nicht trauen konnte. Die Gasse mündete auf einen Platz voller Marktbuden. Zwischen den Ständen schoben sich Menschen in dichten Trauben hindurch. Sie zögerte. Sie kam hier langsamer vorwärts. Aber andererseits … Unter all den Menschen war sie schwieriger zu entdecken. Sie trat zwischen die Buden und ließ sich von dem Menschenstrom mitziehen.
Geistesabwesend nahm sie das Stimmengewirr um sich herum wahr, in das sich das Blöken von Lämmern und das Gackern von Hühnern mischte. Der Geruch von frisch gebackenem Brot wehte von einem Stand herüber. Bunt gefärbte Stoffe leuchteten im Sonnenlicht. Dann, von irgendwoher, ein Funkeln von Blau. Ein Blau wie das eines Sommerhimmels in ihrer Heimat oder wie ein Nachthimmel, den Fackeln erhellten … Ein Blau wie das, welches sie für den Mantel der Gottesmutter verwendet hatte … Donata vergaß alles um sich herum, wo sie war, dass sie aus der Stadt entkommen musste, und ging wie gebannt näher. Das blaue Funkeln stammte von einem Lapislazuli. Kostbar, wie er war, befand er sich in direkter Reichweite der rundlichen Hände eines Händlers. Ein stumpfbraunes Pulver, das sich zu einem tiefen Rot vermalen ließ, und Stücke von Grünspan und gelblich braunem Ocker lagen daneben. Aber es war der Lapislazuli, in dem sich das Sonnenlicht brach und der leuchtete wie eine blaue Flamme, der Donatas Herz schneller schlagen ließ. Sie schritt näher und streckte die Hand aus, um den kleinen Stein zu berühren, registrierte kaum, wie ihr Schleier verrutschte und ihr auf die Schultern glitt.
Im nächsten Moment hob der Händler seine Hände und verdeckte so den Sonnenstrahl. Das Licht in dem Stein erlosch und der Zauber brach. Donata bemerkte eine Bewegung neben sich. Als sie aufschaute, sah sie, dass ein rothaariger Mann neben sie an den Stand getreten war und die Farben begutachtete. Ein Mann mit einem Fuchsgesicht. Als hätte er ihren Blick gespürt, wandte er den Kopf. Sie erkannte Veit, den Schreiber, in demselben Moment wie er sie.
*
Roger kehrte mit einem halben Laib Brot und einer Schale voll Brei auf den Heuboden zurück. Als er Donata dort nicht antraf, dachte er, sie sei in den Garten hinabgegangen und er habe sie dort nicht bemerkt. Ein wenig wunderte er sich darüber, denn es sah ihr nicht ähnlich, ohne guten Grund einen sicheren Ort zu verlassen. Er hockte sich nieder und begann, rasch zu essen. Doch nach einigen Bissen fiel sein Blick auf die Stelle, wo Donatas Bündel gelegen hatte. Es befand sich nicht mehr dort. Er sprang auf und riss das Heu auseinander. Das Bündel blieb verschwunden. Für einen Augenblick glaubte er zu sehen, wie Léon an jenem eisigen Wintertag – jenem Tag, nachdem Donata Zeugin des Mordes an Gisbert, dem Inquisitor, geworden war – ihre Dinge durchsucht hatte und wie sie voller Angst und Sehnsucht auf das Leder geschaut hatte, das ihren Stift und ihre Pinsel barg. Das zusammengeknüpfte, grobe braune Wolltuch enthielt ihre ganze Habe, alles, was ihr wichtig war.
Nachdem er sein eigenes Bündel umgehängt hatte, verließ er den Schuppen und rannte über den Hof. Draußen, auf der Gasse, blickte er sich eilig um. Ein paar Häuser weiter standen einige der Spielleute vor einem Hoftor. Ihre Gewänder stachen bunt gegen den schmutzigen Schnee ab. Er hastete auf sie zu.
»Die Frau, die zusammen mit mir bei Euch war, habt Ihr sie vorbeigehen sehen?«
»Nein.« Die Spielleute schüttelten die Köpfe. Einer von ihnen, der eine
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