Die Buchmalerin
dagegen, ich werde Euren Entschluss achten. Aber bedenkt auch, dass sich die wirklich großen Gelegenheiten, die, die über unser Schicksal entscheiden, nur einmal im Leben bieten. Ergreift man sie nicht mit fester Hand, sind sie für immer verloren.« Wieder ließ der Kardinal die Stille wirken.
Unwillkürlich hatte sich Heinrich gestrafft. Er starrte vor sich hin, als ob er versuchte, in dem Spiel aus Licht und Schatten, das die Fackeln in den Raum warfen, etwas Wichtiges zu erkennen.
»Als Euer Vater im Jahr 1212 nach Deutschland gezogen ist – mit nur wenigen Begleitern und durch feindliches Gebiet«, setzte Enzio sanft hinzu, »da hat er alles gewagt und er hat alles gewonnen.«
*
Es dauerte lange, bis die Musiker in den Saal eingelassen wurden, in dem das Mahl stattfand. Einige Stunden standen sie frierend im Hof vor der alten Basilika. Zusammen mit anderen Gauklergruppen, die Waffen für Schaukämpfe oder bunte Bälle zum Jonglieren bei sich hatten. Dann und wann erschien ein mürrisch dreinblickender Diener, der der einen oder anderen Gruppe befahl, hereinzukommen. Anfangs übten die Spielleute, zu denen Roger und Donata gehörten, noch ihre Lieder. Aber bald war es zu kalt geworden, um mit den steifen Fingern die Instrumente noch richtig bedienen zu können. Als sie schließlich durch eine Seitentür eingelassen wurden, waren die Sterne an dem klaren Nachthimmel ein beträchtliches Stück weitergewandert. Die Gruppe ordnete sich zu Paaren. Roger ergriff Donatas Arm. Sie zitterte ein wenig, sei es vor Kälte oder aus Angst.
Im Saal erschien Roger die Wärme, die von den Kerzen, den Kohlebecken und den Menschen ausging, gegen die Kälte, die draußen herrschte, beinahe schmerzhaft. Der mürrische Diener wies ihnen einen Platz an der Längsseite zu, ganz in der Nähe des Podests, auf dem die Tafel der Vornehmsten errichtet war. Dort saßen Heinrich, der deutsche König, Enzio von Trient, der Erzbischof der Moselstadt, Prälaten und hochrangige Adelige. Drei lange Tische zweigten von dem Podest ab und führten in das Schiff des mächtigen Raums. Léon stand im Rücken seines Herrn, gehörte jedoch nicht zu den Bediensteten, die den vornehmsten Speisenden aufwarteten. Roger wünschte sich, dass sie dem Diener in der Vergangenheit weniger nahe gekommen wären.
Als die Spielleute sich gruppierten, wählte Donata einen Platz zwischen Elisa und zwei anderen Frauen, die ebenfalls sangen, und achtete darauf, dass diese sie ein wenig verdeckten. Roger hielt sich dicht dahinter.
Der Vorsteher der Spielleute gab ein Zeichen. Daraufhin stimmten die Musiker die ersten Töne an. Roger zupfte an den Saiten seiner Laute. Während er auf Donatas Stimme hörte und sich bemühte, die Melodie einigermaßen zu treffen, schaute er noch einmal unauffällig um sich. An die zweihundert Gäste mochten im Saal versammelt sein. Den anderen Kundschafter entdeckte er unter den Bediensteten, die Körbe voller Brotstücke und Krüge mit Wein an die Tafeln brachten. Zu seiner Erleichterung waren weder die Soldaten, denen er und Donata bei der Köhlerhütte begegnet waren, noch der rothaarige Schreiber unter den Anwesenden.
Kurz blieb sein Blick an Heinrich hängen, einem schlanken, nicht sehr großen Mann. Das ovale Gesicht des Königs war nicht hässlich, hatte aber fast keine Ähnlichkeit mit dem Friedrichs. Nur dann und wann, wenn er den Kopf neigte oder das Licht einer Fackel auf ihn fiel, blitzte kurz die Andeutung einer Verwandtschaft auf.
Nein, dachte Roger, der Sohn besitzt keine der Fähigkeiten seines Vaters. Mag er gegen diese Erkenntnis auch noch so sehr rebellieren und deswegen sogar den Aufstand gegen Friedrich wagen.
Ein weiteres Lied endete. Die Schüsseln mit Fleischgerichten, die auf den Tafeln standen, wurden abgetragen und die Spielleute ließen ihre Instrumente sinken. Der mürrische Bedienstete, der ihnen vorhin den Platz zugewiesen hatte, trat zu ihnen. »Den Herren gefällt es, wie Ihr singt. Ihr könnt noch bleiben. Nehmt Euch von dem Brot, wenn Ihr wollt, und lasst euch Wein geben. Sobald die Nachspeisen aufgetragen werden, spielt Ihr weiter!«
Eine andere Gruppe von bunt gekleideten Gauklern lief in den Saal. Sie schlugen zwischen den Tafeln Rad, sprangen hoch in die Luft und drehten Saltos. Die Musiker zerstreuten sich.
Während sie langsam in den rückwärtigen Teil des Saales schritten, flüsterte Donata Roger zu: »Ich habe den Mann nicht gesehen. Es sind zu viele Menschen hier …« Trotz der
Weitere Kostenlose Bücher