Die Buchmalerin
mit Troddeln besetzte Kappe trug, ließ auf seiner Laute einen klagenden Ton vernehmen. Roger ballte die Hände zu Fäusten und starrte die schmale Gasse entlang. Ein Bauer, der einen Karren voller Kohlköpfe hinter sich herzog, Menschen, die ihre Mäntel und Tücher dicht um sich schlangen, um sich gegen die Kälte zu schützen … Ob Donata die Stadt durch das südliche oder das nördliche Tor verlassen wollte? Sie würde ihren Weg nach Westen, zur französischen Kanalküste, wieder aufnehmen. Er wollte sich in Richtung des südlichen Tores wenden, als er eine Frauenstimme nach sich rufen hörte. Elisa zwängte sich zwischen den Spielleuten hindurch. Sie trug keinen Schleier, ihr dichtes, braunes Haar hing offen auf ihre Schultern und trotz seiner Anspannung versetzte ihm ihre Schönheit einen Stich.
»Eure Gefährtin ist eben hier vorbeigelaufen. Ich wollte ihr sagen, dass mir das, was gestern Nacht geschehen ist, Leid tut, aber sie scheint mich nicht gesehen zu haben.«
»In welche Richtung ist sie gegangen?«
Die Musikantin runzelte die Stirn. »Dorthin …« Sie deutete die Gasse in die nördliche Richtung hinunter.
Roger berührte ihren Arm. »Danke … für alles …« Er hastete weiter.
Wenig später gelangte er an die Stelle, wo die Gasse auf den Platz mündete, auf dem die Marktbuden standen. Nirgends in dem Menschengewimmel konnte er Donatas schmale Gestalt erkennen. Ob sie um den Markt herumgegangen war? Nein, an ihrer Stelle hätte er es vorgezogen, sich in dem Getümmel zu verbergen. Er schob sich zwischen den Menschen durch und bahnte sich, indem er mit Ellbogen und Fäusten um sich stieß, seinen Weg.
Er dachte schon, dass er sie verloren hätte, als er plötzlich in einer Lücke, die sich inmitten der Leute auftat, ihr Gesicht erblickte. Es war sehr weiß und voller Schrecken. Er drängte sich an einem Schlitten vorbei, der hoch mit Holz beladen war, und schob einen Mann grob zur Seite. Kurz bevor er Donata erreichte, öffnete sich erneut eine Lücke in dem Gewimmel. Ein rothaariger Mann griff nach ihr, sie wich vor ihm zurück.
Ohne zu überlegen, schnellte Roger vorwärts. Das Profil des Rothaarigen war ihm zugewandt. Noch in der Bewegung erkannte er den Mann, der Donata auf dem Hof des Klosters verfolgt hatte und der im Gefolge Enzios in die Stadt gekommen war. Es gelang ihm, den Schreiber an der Schulter zu packen und zurückzureißen. Dieser wirbelte herum. Seine Miene war mehr verdutzt als wütend. Roger traf ihn am Kinn. Der Schreiber kippte nach hinten und blieb bewegungslos im Schnee liegen. Laute und verwunderte Rufe ertönten. Menschen versammelten sich um sie. Roger nahm Farben auf einem Stand neben sich wahr und einen Stein, der blau im Sonnenlicht funkelte. Er beugte sich vor und wischte den Stein zu Boden, wo er im Schnee neben dem Schreiber liegen blieb. Anklagend deutete er darauf. »Der Stein … Seht Ihr? Er hat den Stein stehlen wollen!«
Aufgeschreckt rannte der Farbenhändler um seine Bude herum. »Tatsächlich … Ein Dieb …«
Roger packte Donata am Arm und zog sie fort. Niemand von den Umstehenden versuchte, sie aufzuhalten. Als sie beinahe das Ende der Marktgasse erreicht hatten, hörte er sie murmeln: »Wahrhaftig, ein vortrefflich ausgeführter Schlag.«
Er starrte sie an. Ihr Gesicht war immer noch sehr weiß, aber um ihren Mund lag der ihm inzwischen gut bekannte spöttische und bittere Zug. »Ja, und Ihr könnt nur hoffen, dass der Schreiber noch eine Weile besinnungslos liegen bleibt oder dass ihn der empörte Händler festhält. Jedenfalls so lange, bis wir die Stadt hinter uns gelassen haben«, gab er zwischen zusammengepressten Zähnen zurück. »Wenn Ihr schon verschwinden wollt, hättet Ihr nicht ausgerechnet bei einem Stand mit Farben stehen bleiben sollen … Mittlerweile dürfte es sich herumgesprochen haben, dass Ihr einmal eine Buchmalerin gewesen seid.«
*
Kurz zuvor war Léon zu den Stallungen gelaufen, die sich neben dem alten Basilika-Gebäude befanden. Der Fuchs seines Herrn war ein kostbares Tier, und obwohl die Diener des Kardinals es gut versorgten, zog Léon es vor – wann immer es ihm möglich war – selbst nach ihm zu sehen. Während er sich über den mit Stroh und schneeigem Matsch bedeckten Hof seinen Weg bahnte, versuchte er, sich den vergangenen Abend noch einmal zu vergegenwärtigen. Irgendetwas hatte ihn für Momente irritiert … Aber so sehr er sich auch anstrengte und sich zu erinnern bemühte, es wollte ihm nicht
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