Die Buchmalerin
Gedanken nahe legt, dass sie jemand Bestimmten unter den Gästen gesucht haben.«
*
Am frühen Nachmittag desselben Tages trieb Enzio sein Pferd neben das Heinrichs. Der König hatte sich an die Spitze der Jagdgesellschaft gesetzt, die ein Stück westlich von Trier, in den sonnigen Hängen oberhalb der Mosel, unterwegs war. Heinrichs Gesicht schien unbewegt, so als würde er nicht bemerken, dass jemand neben ihm ritt. Seit ihrem Streit am Vortag hatten sie nicht mehr unter vier Augen miteinander gesprochen und nur im Beisein von anderen die Form gewahrt. Wenn es der König für seinen Seelenfrieden benötigte, sich eine Weile zu zieren, dann sollte er dies ruhig tun. Aber allzu lange, glaubte Enzio, würde er seine ablehnende Haltung nicht beibehalten. Er vertraute darauf, dass die Saat von Macht und Ruhm, die er am Abend zuvor in Heinrichs Seele gesenkt hatte, aufging.
Eine Weile ritten sie schweigend nebeneinander, während in ihrem Rücken die Stimmen der übrigen Jagdgesellschaft und das Stampfen der Pferde im Schnee zu hören waren. Schließlich sagte Enzio leichthin: »Ich werde bald nach Köln zurückkehren müssen, um all die Dinge zu regeln, die Gisberts Tod betreffen. Odilo, Euer Gefolgsmann, besitzt ein Gut in der Eifel, in der Nähe von Adenau. Es liegt nicht allzu weit von meinem Weg entfernt. Ich beabsichtige, dort Halt zu machen und ihm für seine Dienste zu danken …« Fragend ließ er seine Worte ausklingen.
Heinrich antwortete nicht, sondern ließ den braunen Wallach, den er ritt, in eine etwas schnellere Gangart verfallen. Enzio folgte ihm mit einer halben Pferdelänge Abstand. Als sie den Gipfel eines Hügels erreicht hatten, brachte der König sein Tier zum Stehen. Unter ihnen breitete sich das Flusstal aus. Zwischen den verschneiten Hängen bildete die Mosel ein silbriges Band. Der König wandte sich zu der Jagdgesellschaft um und bedeutete ihr, dass sie in einigem Abstand warten sollte. Danach winkte er den Kardinal neben sich.
»Ich habe mich entschieden.« Obwohl sein weicher, voller Mund ein wenig zitterte, klang seine Stimme entschlossen. »Ihr habt Recht, die Macht zu erringen fordert Opfer. Und eine Kaiserkrone ist es wert, dass Menschen dafür sterben. Auch mein Vater hat es sich niemals gestattet zu zaudern …« Heinrich schwieg und seine Miene verdüsterte sich. Dann hatte er sich jedoch wieder in der Gewalt. »Beeilt Euch mit dem Prozess in Köln und führt ihn zu einem guten Ende. Anschließend werden wir festlegen, wie wir unsere Pläne am besten verwirklichen. Mit unser beider Ziel in Rom …«
»Mit unser beider Ziel in Rom …«, wiederholte der Kardinal. Er neigte ehrerbietig den Kopf, ehe er in die Hand einschlug, die der König ihm entgegenstreckte. Der Blick des Staufers war auf den Horizont gerichtet. Sein Gesicht, auf dem unscharf, aber dennoch erkennbar die Züge des Vaters aufschienen, spiegelte Träume von Größe und Macht. Umgeben von einem gelblichen Schimmer stand die Sonne im Westen.
Das Schicksalsrad, dachte Enzio. Das Rad, das im Steigen begriffen ist und das ich auf seinem Zenit anhalten werde.
*
Als Donata in dem steilen, verschneiten Weinberg Schritte hinter sich hörte, blieb sie stehen und schaute sich hastig um. Roger, den sie vor einer ganzen Weile am Ufer der Mosel verlassen hatte, kam stetig den Abhang herauf. Zornig dachte sie, dass sie mit ihrem verletzten Fuß, der wieder stark schmerzte, einfach nicht schnell genug vorwärts kam. Außerdem waren ihre Spuren im Schnee zu deutlich zu erkennen. Sie griff in ihr Bündel, legte die Hand um ihr Messer und blickte Roger abwartend entgegen.
Als er sie erreicht hatte, stieß sie hervor: »Lasst mich in Frieden! Ihr bringt mich nicht dazu, noch einmal mit Euch zu kommen!«
»Ich will Euch zu nichts zwingen«, erwiderte er ruhig. »Ich wollte Euch anbieten, dass wir unsere Abmachung erneuern. Wenn Ihr mir helft, den Zeugen zu finden, werde ich versuchen, ihn nach Köln zu bringen und zu einer Aussage im Prozess gegen die Beginen zu veranlassen. Dann erst nehme ich ihn mit in den Süden.«
»Und Ihr glaubt tatsächlich, dass ich Euch wieder vertraue? Nachdem Ihr gerade versucht habt, mich zu hintergehen?«
»Es ist Eure Sache, ob Ihr mir vertrauen wollt. Aber ich verspreche Euch, dass ich mich nun an meinen Teil der Abmachung halten werde …«
»Ach, und warum?«
»Jedenfalls nicht, weil ich mich vor den Folgen des Fluchs fürchte, den Ihr gegen mich ausgesprochen habt«, entgegnete er
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