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Die Buchmalerin

Die Buchmalerin

Titel: Die Buchmalerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Beate Sauer
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Tal, wo er sich gegen Mittag mit Heinrichs Gefolgsmann treffen wollte. Er suchte sich eine geschützte Stelle im Strauchwerk am Hang, von der aus er sowohl das Tal als auch die angrenzenden Hügel im Auge behalten konnte. Dort kauerte er sich fröstelnd nieder. Über Nacht war das Wetter umgeschlagen. Die Wolken und die feuchte Kälte des Vortags waren einem strahlenden Tag gewichen. Der Schnee funkelte und die noch recht tief stehende Sonne verbreitete ein beinahe rötliches Licht.
    Erst jetzt, während er wartete und gleichzeitig die Geräusche im Tal registrierte – dann und wann ein Rascheln im Schnee, das von einem Tier herrührte –, gestattete er es sich, an die Nacht in der Höhle zurückzudenken. Es war nicht gut, dass er sich nicht besser in der Gewalt gehabt, sondern seiner Begierde nachgegeben hatte. Was zwischen ihnen geschehen war, würde ihr ohnehin schon schwieriges Verhältnis nicht leichter machen. Verwirrt und ärgerlich über sich selbst starrte er auf die eisüberzogenen, glitzernden Äste vor sich und begriff auf einmal, dass ihn noch etwas anderes zu Donata getrieben hatte, nicht nur seine Lust. Doch darüber wollte er sich jetzt keine Rechenschaft ablegen.
    Irgendwann im Laufe des Vormittags glaubte er, in der Ferne das Wiehern eines Pferdes zu hören. Aber der Laut war von weit her gekommen und erklang nur einmal. Er zweifelte, ob er sich nicht getäuscht hatte. Dann, kurz bevor die Sonne den Zenit erreichte, kam ein Reiter in das Tal und ritt langsam den Wiesengrund entlang. Roger erkannte Odilos aufrechte Gestalt und seinen schweren dunklen Mantel und, als er näher heranrückte, auch sein Gesicht. Roger wartete, bis Odilo bei einer Salweide, die ihre kahlen, filigranen Äste hoch in der Himmel streckte, Halt machte und aus dem Sattel sprang. Noch immer blieb ansonsten alles still in dem weiten, gekrümmten Tal.
    Roger verließ sein Versteck und lief zwischen dem Strauchwerk abwärts, wobei er weiterhin die Umgebung beobachtete. Er erreichte den Talgrund und schritt durch den Schnee auf Odilo zu, der den Kopf gesenkt hielt. Eine plötzliche Unruhe erfüllte Roger, wofür er sich schalt. Alles war so, wie es sein sollte. Und dennoch wünschte er sich, diesen weither einsehbaren Talgrund wieder verlassen zu haben.
    Er war noch einige Dutzend Schritte von Odilo entfernt, als dieser aufschaute. Seine Augen waren zerquält und voller Angst. Zugleich vollführte er mit der Hand eine abwehrende Gebärde. Etwas Schimmerndes flog an Roger vorbei. Er spürte einen scharfen Luftzug. Noch ehe er recht begriff, was geschah, sackte der Mann vor ihm zusammen. Seine Hände umklammerten einen Pfeil, der ihm tief in der Brust steckte.
    Roger rannte vorwärts. Er hörte Schreie und Schritte hinter sich im Schnee, glitt aus und raffte sich wieder auf. Auch von den Bäumen auf der anderen Talseite kamen Enzios Leute auf ihn zu. Sie mussten sich dort schon während der Nacht verborgen gehabt haben und er war ihnen in die Falle getappt. Sie hatten sie nur noch zuschnappen lassen müssen. Einige Soldaten lösten sich von der Gruppe und beschrieben einen weiten Bogen, kreisten ihn ein. Gedankenfetzen und Bilder zogen durch Rogers Kopf.
    Angst. Die Angst damals im Burghof … Die harte Hand des Falkners, die ihn im Genick gepackt hatte und von der er sich nicht befreien konnte, so sehr er sich auch darunter wand. Donata, die auf ihn zurannte. Ihr zerrissenes Hemd entblößte ihre Brüste. Die Angst und der Zorn auf ihrem Gesicht.
    Als die Soldaten Roger eingeholt hatten, streifte sein Blick den strahlenden, klaren Himmel. Von der gegenüberliegenden Talseite erhob sich ein Vogel in die Luft. Seine Schwingen glänzten silbrig im Licht.

    *

    Er wand sich und schlug um sich, obwohl er wusste, dass er verloren hatte. Einen der Soldaten traf er am Kinn und der Mann ging zu Boden. Doch sofort wurden seine Arme auf den Rücken gedreht und zusammengebunden. Stricke legten sich fest um seine Beine, ohne dass er es verhindern konnte. Hände packten ihn und rissen ihn hoch. Ein Schatten fiel auf ihn. Als er den Kopf hob, sah er, dass Enzio vor ihm stand und ihn ruhig, ja beinahe nachdenklich aus seinen steingrauen Augen betrachtete.
    »Das also ist Friedrichs Kundschafter …«
    Einer der Soldaten griff in seine Haare und zerrte seinen Kopf in den Nacken. Die Sonne blendete ihn, mühsam blinzelte Roger gegen ihren gleißenden Schein an. Obwohl er Enzio nicht mehr sehen konnte, wusste er, dass ihn dieser nicht aus den Augen

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