Die Buchmalerin
Wahrheit ans Licht kam, gleichgültig, was es sie kostete. Er konnte immerhin versuchen, diese Frau in die Stadt zu bringen. Dann sollte seine Großtante selbst entscheiden, was für die Beginen und den Begarden zu tun war.
»Gut, was auch immer daraus entstehen mag, ich nehme dich mit«, meinte er langsam. »Bis dahin kannst du im Gästehaus bleiben.« Er bedeutete Donata, dass sie gehen könne. Doch zu seiner Verwunderung blieb sie stehen.
»Der Mann, mit dem ich unterwegs war und der von dem Treffen mit Odilo, dem Zeugen, nicht zurückgekehrt ist«, sagte sie stockend. »Ich möchte Euch bitten, dass Ihr nach ihm suchen lasst …«
Erneut schaute sie ihn direkt an. Und wieder ging ihm durch den Kopf, dass sie einen höchst merkwürdigen, durchdringenden Blick hatte, so als sei sie in der Lage, den Menschen damit Böses anzuwünschen. Er schob diese Vorstellung beiseite. Das war Aberglauben.
Sie deutete sein Zögern falsch und fügte hinzu, noch immer ohne den Blick von ihm abzuwenden: »Vergesst nicht, dieser Mann steht in den Diensten des Kaisers.«
Der Abt seufzte. »Ich würde auch nach ihm suchen lassen, wenn er dies nicht täte.«
Eine Weile später stellte Donata eine leere Holzschale auf dem Bretterboden einer Kammer ab. Der kleine Raum im Gästehaus des Klosters, in den einer der Mönche sie geführt hatte, besaß ein schmales Fenster, das mit geöltem Leder verschlossen war. Man hatte ihr ein kleines Becken mit glühenden Kohlen und zu essen gebracht. Sie war viel zu erschöpft, um hungrig zu sein. Aber da sie sich während der vergangenen Jahre angewöhnt hatte, nie eine Mahlzeit auszulassen, die sich ihr bot, hatte sie die Suppe hinuntergewürgt. Zwei Tage lang war sie fast ununterbrochen durch die tief verschneite Gegend gelaufen und hatte nur eine kurze Rast eingelegt, wenn ihr Fuß zu unerträglich schmerzte. Ihre ganze Aufmerksamkeit war darauf gerichtet gewesen, sich am Stand der Sonne und der Sterne zu orientieren und sich ihren Weg zu suchen. Gelegenheit und Kraft, nachzudenken, hatten ihr gefehlt. Und sie wollte sich auch jetzt nicht vorstellen, was mit Roger geschehen sein mochte.
Ein zaghaftes Klopfen schreckte sie auf. Als sie die Tür öffnete, stand ein junger Novize davor, der Tücher über dem Arm und einen Bottich voll dampfendem Wasser trug.
»Falls Ihr Euch waschen wollt«, sagte er verlegen.
Donata nahm beides wortlos entgegen und dachte bitter, dass sie diese besonderen Vergünstigungen wohl allein dem Brief der Äbtissin zu verdanken hatte. Nachdem sie die Tür zugeschlagen hatte, tauchte sie die Hände in das Wasser und fuhr sich damit über das Gesicht, löste schließlich die Stofffetzen, die um ihren verletzten Fuß gewickelt waren und streifte ihren Mantel und ihr Kleid ab. Fröstelnd stand sie in der kalten Luft.
Sie benetzte eines der Tücher und fuhr sich damit langsam über ihre Arme und ihren Leib, an dem die Brust- und die Beckenknochen hervorstachen. Obwohl das Wasser immer noch dampfte, wärmte es sie nicht.
Als sie mit dem Tuch zwischen ihre Schenkel fuhr, sah sie eine schmale Blutspur darauf. Zum ersten Mal seit langem hatte ihre Monatsblutung wieder eingesetzt. Erst jetzt wurde ihr klar, dass sie von der Nacht, die sie mit Roger in der Höhle verbracht hatte, hätte schwanger werden können. Sie hockte sich auf den Strohsack, zog eine der groben Decken um sich und wünschte sich, weinen zu können. Aber es gelang ihr nicht.
*
Enzio betrachtete den Körper, der, beschienen von einer Fackel, verkrümmt und reglos auf dem Boden der Scheune lag. Die Augenlider des Mannes waren eingefallen. Ein dichtes Muster aus roten Brandwunden und Schnitten überzog die Haut von den Beinen bis zu den Schultern. Der Kardinal winkte dem Diener, woraufhin dieser sich bückte und die Hand eine Weile auf die Brust des Mannes legte, dorthin, wo sich das Herz befand. Schließlich richtete Léon sich auf und trat zu dem Kohlebecken. Mithilfe einer Zange nahm er eine der glühenden Kohlen heraus und presste sie auf eine unversehrte Hautstelle an der Brust. Der durchdringende Gestank von verbranntem Fleisch stieg auf und mischte sich mit demselben Geruch, der in der Scheune hing. Der Körper blieb bewegungslos liegen, keinerlei Zucken durchlief ihn und auch die Augenlider zitterten nicht.
Léon wandte sich wieder Enzio zu. »Herr, er ist tot.«
Der Kardinal musterte Rogers gefolterten Körper weiterhin schweigend. Zwei Tage hatte der Mann durchgehalten, ohne ihnen etwas über
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