Die Buchmalerin
nächsten Tag einen der Soldaten zu uns zurückschicken, der uns den Weg weisen sollte. Die Diener sollten die Gepäckwagen begleiten und wir ihnen dabei helfen. Du weißt doch, wie langsam man im Schnee mit den Wagen vorwärts kommt. Und der Kardinal wollte nun einmal so schnell wie möglich nach Köln gelangen.« Doch obwohl Jörg die Worte so entschieden ausgesprochen hatte, wie es ihm mit seiner vom Alkohol schweren Zunge möglich war, enthielten sie doch eine leise Frage. Er versuchte, seinen schwankenden Körper gerade zu halten.
»Sag, worauf willst du hinaus?«, brachte er schließlich mühsam hervor.
»Dass Enzio von Trient sein eigenes Spiel treibt und dass es darin nicht um Ketzer geht.«
Ein leises Rascheln in seinem Rücken ließ Veit zusammenzucken. Doch als er sich hastig umwandte, regte sich nichts in der Dunkelheit und außer den entfernten Stimmen der Soldaten war kein Laut zu hören. Wahrscheinlich war Schnee von einem Dach heruntergerutscht, beruhigte er sich. Oder ein Eiszapfen war abgebrochen. Dennoch war er plötzlich nüchtern.
»Ich verstehe dich nicht«, lallte der junge Sterzin.
»Vergiss, was ich gesagt habe. Ich habe nur so dahingeredet …« Veit fasste Jörg am Arm und zog ihn mit sich, während er hoffte, dass der Junge betrunken genug war, um sich am nächsten Morgen an nichts mehr zu erinnern. Jedenfalls konnte es nichts schaden, wenn der Dummkopf dem Bier noch einmal gut zusprach.
*
Am Abend, nach der Vesper, wurde Donata noch einmal zu dem Abt gerufen. Stumm hörte sie zu, wie Hugo ihr darlegte, dass er früh am nächsten Morgen zusammen mit einigen seiner Mönche nach Köln aufbrechen und sie mitnehmen würde. Und ebenso wortlos nahm sie zur Kenntnis, dass alles, was sie dort tun oder nicht tun sollte, von den Umständen und dem Ratschlag seiner Großtante abhinge und sie sich dem unterordnen müsse.
Während der Nacht suchten sie ihre alten Albträume heim. Dann und wann, wenn sie aus dem Schlaf hochschreckte, stiegen Erinnerungen an die letzten Tage in ihr auf, die sie zusammen mit Roger verbracht hatte, und sie benötigte all ihre Kraft, um dagegen anzukämpfen und sie nicht in sich lebendig werden zu lassen.
Die Angst kam am Morgen nach einer hastigen Mahlzeit, die Donata in der noch kalten Klosterküche eingenommen hatte. Sie überfiel sie wild und heftig, stürzte auf sie nieder und schlug ihre Klauen in ihre Seele wie ein Adler, der unversehens vom Himmel auf ein kleines Wildtier herabstößt, es packt und mit sich davonträgt. Es geschah vor den Stallungen des Klosters, wo der Abt und etwa ein Dutzend seiner Mönche bereits aufgesessen waren und auf sie warteten. Ein dicklicher Mönch, der Donata von der Küche zu den Ställen geleitet hatte, half ihr in den Sattel eines robusten Pferdes. Ein anderer Benediktiner hielt das Reittier am Halfter.
Plötzlich war die Erinnerung an jenen Abend in ihr gegenwärtig, als die Inquisition sie im Kreuzgang des Benediktinerinnenklosters ergriffen hatte. Die Mönche würden sie Enzio übergeben. Sie war verrückt, freiwillig mit ihnen zu gehen. Sie konnte nicht gut reiten. Trotzdem musste sie, sobald sie das Gelände des Klosters verlassen hatten, dem Mönch, der neben ihr ritt, den Halfter entreißen und versuchen zu entkommen.
Die ersten Mönche hatten nun das Tor in der Mauer erreicht, über dem eine Fackel brannte, und ritten hindurch. Nun waren auch sie und der Benediktiner, der neben ihr ritt, fast bei dem steinernen Torbogen angelangt. Unwillkürlich schaute sie auf. Feine Flocken wirbelten um die Fackel und verdampften im Feuer. Der Himmel darüber war von einem tiefen, samtigen Blau. Ein Blau, wie das in jener Nacht, als sie Roger das erste Mal begegnet war und er ihr zur Flucht verholfen hatte. Die Starre, die Donata umfing, seit sie die Höhle verlassen hatte, drohte einen Moment lang aufzubrechen. Doch ein ärgerliches Wiehern ihres Reittiers, dem das Leitpferd zu nahe gekommen war, brachte sie wieder in die Gegenwart zurück. Hass gegen Enzio stieg in ihr auf und dieser Hass war stärker als ihre Angst.
*
Zuerst spürte Roger wieder den Schmerz. Dumpf und pochend schien sein ganzer Körper davon erfüllt zu sein und er wünschte sich, in die Schwärze der Bewusstlosigkeit hinabgleiten zu können, ehe ihm Enzios Leute neue Qualen zufügten. Dann erst fühlte er die Kälte. Lag er in einer Lache eisigen Wassers auf dem Scheunenboden? Stumpf erinnerte er sich daran, was dies bedeutete. Sie hatten ihn zu sich
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