Die Buchmalerin
sollte, die an diesem grauen, kalten Wintertag in seinem Gemach stand.
Der Pförtner hatte sie vor einer Weile widerstrebend zu ihm gebracht und mit deutlichem Zweifel in Miene und Stimme bemerkt, diese Frau behaupte, einen Brief der Äbtissin von Maria im Kapitol bei sich zu haben. Das Verhalten des Pförtners stimmte nicht unbedingt mit den benediktinischen Regeln der Gastfreundschaft überein. Und es widersprach auch Jesu Gebot, dass der Mensch nicht richten solle. Hugo konnte die Zweifel des Pförtners zwar nicht billigen, aber doch verstehen.
Eine merkwürdige Frau. Das Gesicht grau von Kälte, zerlumpt und schmutzig, die sich jedoch gewählt auszudrücken verstand, so als ob sie einmal eine gute Erziehung genossen hätte. Die Augen hielt sie zwar meist demütig gesenkt, wie es sich gegenüber einem Abt geziemte. Aber wenn sie rasch aufschaute, hatte ihr Blick beinahe etwas Herausforderndes.
Nachdenklich schaute der Abt auf das Pergament, das vor ihm auf dem Tisch lag. Es trug eindeutig das Siegel seiner Großtante. Und dennoch, es wäre ihm schwer gefallen, der Geschichte zu glauben, die ihm die Frau erzählt hatte – wenn ihn nicht vor einigen Tagen der Brief eines Kölner Dominikanermönchs namens Willigis erreicht hätte. Dieser äußerte sich besorgt, dass der päpstliche Legat und Kardinal von Trient – jener hohe kirchliche Würdenträger, der vor einigen Wochen zu Gast in diesem Kloster gewesen war – die Äbtissin von Maria im Kapitol der Ketzerei anklagen wolle und dass sie das Kloster nicht verlassen dürfe.
Ihm war das, was der Dominikaner schrieb, als sehr unwahrscheinlich erschienen. Weniger, was die unbedingte Rechtgläubigkeit seiner Großtante anbelangte. Darüber hegte er selbst auch manchmal Zweifel. Aber auch ein Legat des Papstes pflegte davor zurückzuschrecken, eine Äbtissin der Ketzerei zu beschuldigen. Deshalb hatte Hugo einen seiner Mönche nach Köln geschickt, der den Gerüchten nachgehen und seine Großtante aufsuchen sollte. Dieser war allerdings noch nicht zurückgekehrt. Und nun …, der Abt seufzte innerlich, die Geschichte der Frau bestätigte die Gerüchte. Und alles schien noch viel verworrener und viel schwerwiegender zu sein, als er erwartet hatte.
Jedenfalls – setzte er in Gedanken grimmig hinzu – sah es seiner Großtante ähnlich, in eine heftige Auseinandersetzung ausgerechnet mit einem päpstlichen Legaten zu geraten. Wie auch immer, sie war seine Verwandte und er würde ihr selbstverständlich beistehen.
Abt Hugo wandte sich wieder Donata zu. »Ich werde morgen nach Köln aufbrechen und versuchen, für die Äbtissin zu tun, was immer ich tun kann. Du wirst solange hier im Kloster bleiben. Hier bist du vor den Leuten des Kardinals in Sicherheit …«
»Ich muss nach Köln.« Ihre Stimme war fast ein Flüstern. Trotzdem schaute sie ihn unverwandt an.
»Du wirst den Beginen nicht helfen können. Wenn überhaupt jemand etwas gegen den Kardinal unternehmen kann, dann ist es die Äbtissin.« Und auch ihr würde dies kaum möglich sein, fügte er bei sich hinzu. Seine stolze, eigenwillige Großtante konnte dem Himmel danken, wenn sie aus dieser Sache mit einigermaßen heiler Haut herauskam.
»Ich muss dorthin und ich glaube, auch die Ehrwürdige Äbtissin würde dies wollen …« Noch immer waren ihre merkwürdigen Augen fest auf ihn gerichtet.
»Du sagtest vorhin, dass du bei Albigensern aufgewachsen bist. Hängst du diesem Irrglauben noch an?«
»Nein, ich tue es nicht.«
»Du glaubst an die Lehren der Kirche?«
»Ja.« Ihr Blick irrte zur Seite.
»Und warum, nimmst du an, würde meine Tante wünschen, dass du nach Köln kommst?«, fragte er scharf.
Donata erinnerte sich an die Nacht, als sie der Äbtissin im Skriptorium des Klosters begegnet war. An das stolze, von Falten durchzogene Gesicht und die gebieterische Art der alten Frau. Ja, warum war sie davon überzeugt, dass die Äbtissin wollte, dass sie nach Köln käme? Weil die Äbtissin etwas von der Buchmalerei verstand und jener Entwurf des Messgewands mit den drei adlerähnlichen Tauben von ihr stammte? Weil die Äbtissin geahnt hatte, wer sie, Donata, war, und sie nicht verurteilt hatte? Wegen all dieser Gründe … Aber wahrscheinlich würde keiner von ihnen den Mönch überzeugen.
Schließlich sagte sie: »Weil ich glaube, dass der Äbtissin an der Wahrheit liegt.«
Abt Hugo schwieg eine Weile. Nun, dies war eine Aussage, die auf seine Großtante zutraf. Sie würde wünschen, dass die
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