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Die Buchmalerin

Die Buchmalerin

Titel: Die Buchmalerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Beate Sauer
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gebracht, nur um ihn erneut an dem Balken hochzuzerren. Die Schwärze … Wenn er sich nur in die Schwärze flüchten könnte, an einen Ort, wo sein Geist nicht mehr für sie erreichbar war …
    Keine Hände griffen nach ihm und zerrten ihn grob auf die Füße. Keine Stimmen waren rings um ihn zu hören und auch der Geruch hatte sich verändert. Kein Rauch von glimmenden Kohlen und kein Gestank von verbranntem Fleisch, seinem Fleisch … Es roch nach Schnee. Rogers verwirrter Geist benötigte einige Augenblicke, ehe er diese Dinge begriff. War es möglich, dass er sich nicht mehr in der Scheune befand? Hatten die Soldaten des Kardinals eine neue Grausamkeit mit ihm vor? Er zwang seinen schmerzenden Leib, sich aufzurichten. Etwas Weiches fiel von ihm ab.
    Roger öffnete die Augen. Schnee … Er kauerte am Rand einer weiten, tief verschneiten Fläche. Neben ihm erhob sich kahles Gesträuch. Sein Körper, der ihm sehr fremd erschien, war blau gefroren und von violett verfärbten Wunden übersät. Donata … Hatte er den Leuten des Kardinals verraten, wo sie zu finden sein würde? Wie viel Zeit war vergangen, seit er sie verlassen hatte? Ein oder mehrere Tage oder nur ein paar Stunden? Verzweiflung erfasste ihn, da er sich nicht erinnern konnte. Er musste die Höhle finden und sie warnen …
    Roger versuchte aufzustehen, fiel jedoch zurück in den Schnee. Erst als er seine Hände in die Zweige des Strauchwerks krallte und sich daran hochzog, gelang es ihm, schwankend auf die Füße zu kommen. Wo befand er sich? Und wo war die Höhle? Der Himmel bildete eine fahlgraue Fläche, die den Sonnenstand nicht preisgab. Die Kälte schnitt in seine nackte Haut. Er musste laufen … Sich bewegen … Er ließ die Zweige des Strauchwerks los, stolperte vorwärts, fiel hin und raffte sich wieder auf. Er musste Donata finden und warnen. Dies war wichtig. Nicht nur für sie, sondern auch für ihn.
    Irgendwann hörte er in der Ferne einen Hund bellen. Im ersten Moment erschrak er, denn er glaubte, die Hunde des Kardinals seien auf ihn angesetzt. Doch das Bellen blieb das eines einzelnen Tiers, keine Meute fiel ein. Trotz seines verwirrten Zustandes war Roger klar, dass er nackt, wie er war, in der eisigen Kälte nicht lange überleben würde. Er benötigte Kleidung. Wo ein Hund war, würden auch Menschen sein …
    Er stolperte in die Richtung, aus der das Bellen erklang, und empfand tiefe, nagende Verzweiflung, wenn es für längere Zeit aussetzte. Schließlich, die Dämmerung brach bereits an, fand er sich vor einem kleinen Gehöft wieder, das am Rand von Feldern lag. Der Ohnmacht nahe, torkelte er auf die Öffnung in der Hecke zu, die es umgab. Er rechnete damit, dass der Hund, der sich nun die Seele aus dem Leib bellte, jeden Moment auf ihn zuspringen und ihn zu Boden reißen würde. Doch nichts geschah. Keuchend und die Hände in die Hecke gekrallt, um nicht das Gleichgewicht zu verlieren, blieb er innerhalb der Umfriedung stehen. Einige niedrige ärmliche Hütten aus Fachwerk und Brettern lagen vor ihm. Neben einer zerrte der Hund an seiner Kette.
    Roger taumelte zu der nächstgelegenen. Nachdem er die Tür aufgezogen hatte, konnte er sich nicht mehr auf den Füßen halten. Er fiel nach innen und blieb auf dem Boden liegen. Wärme, der Geruch von Vieh, ein leises Muhen … Als sich seine Augen an das Dämmerlicht des Stalls gewöhnt hatten, sah er zwei magere Kühe. Sie standen an einer Raufe, zupften mit ihren weichen Mäulern Heu heraus und beäugten ihn verwundert. Er kroch zu ihnen, legte sich unter eines der Tiere und griff mit klammen Händen nach ihrem Euter. Zuerst befürchtete er, keine Gewalt mehr über seine Finger zu haben, doch schließlich drang Milch aus einer der Zitzen, spritzte in sein Gesicht und in seinen Mund.
    Ein Sack … In einer Ecke des Stalles lag ein leerer Sack. Auf den Knien kroch Roger darauf zu und riss mit Fingern und Zähnen an den Nähten. Schließlich gaben sie nach und es gelang ihm, den Sack über seinen Körper zu streifen. Seine Wunden brannten bei der Berührung des groben Stoffes. Er tat einige unsichere Schritte auf die Stalltür zu. Bevor er sie jedoch erreichte, stürzte er und verlor die Besinnung.

    *

    Am späten Nachmittag dieses Tages machte der Tross des Kardinals Halt auf einer lang gezogenen Hügelkuppe, im Schutz eines Gehölzes. Mit steifen Gliedern ließ sich Jörg aus dem Sattel gleiten. Wie stets waren er und Veit in den Reihen der Diener mitgeritten. Der Wind, der über die

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