Die Buchmalerin
die Frau zu verraten, die sie suchten. »Also ist er uns doch unter den Händen weggestorben, ehe wir von ihm erfahren haben, was wir wissen wollten«, bemerkte er trocken. »Jedenfalls – der Staufer sucht sich wirklich gute Leute aus.«
Er besann sich einen Moment. »Verscharre ihn irgendwo im Schnee. Und was Heinrich betrifft, ich werde einen Boten zu ihm schicken, dass der Kundschafter seines Vaters, der Odilo umbrachte, tot ist. Gestorben unter der Folter, als er sich weigerte, uns Einzelheiten seines Auftrags zu nennen.«
Er war überzeugt, dass der König es nicht wagen würde, die Wahrheit der Nachricht anzuzweifeln. Denn wenn er dies täte, müsste er seinem Traum, dem Vater die Krone zu entreißen, entsagen. Und dazu war dieser Traum für Heinrich mittlerweile schon viel zu greifbar geworden.
»Was ist mit der Frau?«, fuhr er fort. »Haben die Soldaten, die nach ihr suchten, irgendeine Spur gefunden?«
»Nein, Herr. Nichts.«
Enzio erinnerte sich an den Augenblick, als er die Frau im Hof der alten Basilika festgehalten hatte. Jenem Ort, der von der einstigen Macht des Volkes kündete, dem er entstammte, und der das Ziel seiner Pläne versinnbildlichte. Ein mageres Geschöpf mit seltsamen Augen in dem weiß geschminkten Gesicht, das voller Angst gewesen war.
»Nimm dir eine Hand voll Leute und suche die Umgebung noch einmal ab«, befahl er. »Wir haben den Mann bekommen, mit dem sie unterwegs war, irgendwann werden wir auch sie ergreifen.«
*
Veit, der Schreiber, ließ seinen Urin in hohem Bogen gegen die dunkle Bretterwand eines Stalles pladdern, wobei er grenzenlose Erleichterung empfand. Gemeinsam mit den Soldaten des Kardinals hatten er und Jörg Sterzin den ganzen Abend lang dem Bier gut zugesprochen. Er lauschte in die Nacht. Von einem der Nebengebäude des Gehöfts her drangen gedämpfte Männerstimmen zu ihm. Wegen des Todes von Odilo hatten sich die Soldaten während der vergangenen Tage sehr gesittet und respektvoll verhalten. Aber sobald sie unter ihresgleichen waren, kümmerte sie die Trauer der Familie und des Gesindes des Toten nicht länger und sie ließen es sich wieder gut gehen.
Nachdem Veit seine Notdurft verrichtet hatte, kehrte er zu Jörg Sterzin zurück. Der Sohn der Seidenstickerin war mit ihm nach draußen gekommen und hatte ein Stück entfernt auf ihn gewartet, während er die Hände gegeneinander schlug und mit den Füßen in den Schnee stampfte. Die Nacht war bewölkt und die feuchte Kälte drang bis auf die Haut.
»Komm, lass uns wieder hineingehen«, Veit schlug Jörg auf die Schulter.
»Morgen reiten wir nach Köln zurück. Schade, ich hätte nichts dagegen gehabt, noch eine Weile mit dem Tross des Kardinals unterwegs zu sein und die Welt zu sehen«, Jörg schwankte ein wenig. »Aber jetzt, da ja zumindest der Ketzer aufgespürt wurde und der Mann tot ist …«
»Ach, du glaubst immer noch, dass es bei dieser Sache um Ketzerei geht?« Veit war stehen geblieben.
»Ja, natürlich. Um was denn sonst?« Jörg wollte weitergehen, doch der Schreiber hielt ihn zurück. Die Gleichmütigkeit des anderen stachelte ihn auf.
»Hast du dich eigentlich nie darüber gewundert, dass ein so hoher Kirchenfürst sich selbst aufmacht, um nach Ketzern zu suchen?«
»Ihm liegt eben an der Reinheit des Glaubens.«
Veit stieß ein leises Lachen aus. »Nun, wenn der Kardinal von Trient ein sittenstrenger, gläubiger Herr wäre, könnte dies möglicherweise zutreffen.«
»Und, du glaubst nicht, dass er das ist?«
Der Schreiber warf Jörg einen spöttischen Blick zu. Das Gesicht des jungen Sterzin war in der Dunkelheit nicht zu erkennen. Aber er hatte die Frage unzweifelhaft ernst gemeint. Mein Gott, wie naiv der Junge doch war … In seinem betrunkenen Zustand amüsierte sich Veit darüber und zugleich verspürte er den Wunsch, mit seinen Beobachtungen zu prahlen.
»Hast du nie Bemerkungen der Soldaten aufgeschnappt, Bemerkungen, dass ihrem Herrn Glaubensdinge völlig gleichgültig sind, und dir deinen Reim darauf gemacht?«
»Nein«, entgegnete Jörg missmutig und stampfte wieder in den Schnee. »Komm, lass uns gehen, sonst ist nichts mehr von dem Bier übrig.«
»Und du hast dich auch nicht darüber gewundert, dass der Kardinal, Léon und die Soldaten sofort nach der Ankunft Odilos wieder gemeinsam mit dem Gutsbesitzer aufbrachen und dem übrigen Tross und uns befohlen wurde, die Nacht im Gehöft zu verbringen?«
»Nein, warum sollte ich? Schließlich wollte der Kardinal am
Weitere Kostenlose Bücher