Die Buchmalerin
Kämme blies, ließ nicht an Heftigkeit nach. Missmutig fragte sich der Sohn der Seidenstickerin, warum um alles in der Welt sie nicht ein Gehöft oder einen anderen geschützten Ort aufgesucht hatten. Vielleicht war es doch nicht so schlecht, dass sie vorerst nach Köln zurückkehrten und er die nächsten Wochen zu Hause, an einem warmen Ort, verbringen würde. Das Reisen machte entschieden mehr Spaß, wenn die Kälte nicht gar so streng war.
Als hätte er seine Gedanken gelesen, kam einer der Soldaten zu den Bediensteten und verkündete, dass Feuerholz gesammelt werden sollte. Dies gelte auch für sie, bedeutete er Jörg und Veit mit einer ungeduldigen Geste und in dem Sprachengemisch, dessen viele Mitglieder des Trosses sich bedienten.
Veit verzog das Gesicht. »Wir sind nicht mit dem Kardinal geritten, um die Arbeit von Dienern zu tun«, murrte er. Jörg fiel auf, dass sein Kamerad schon während des ganzen Tages ungewöhnlich schweigsam und schlecht gelaunt gewesen war.
»Los, komm schon!«, er versetzte ihm einen gutmütigen Rippenstoß. »Oder willst du lieber warten und erfrieren, bis das erste Feuer entzündet wird? Außerdem, sieh, auch die Soldaten helfen beim Sammeln.« Tatsächlich, auch von ihnen gingen einige auf das Gehölz zu, dessen kahle Äste sich grau vor dem Winterhimmel abzeichneten.
Er und Veit folgten einer Gruppe von Dienern, die sich die Hände rieben, damit das Blut zirkulierte, und in ihrer Sprache miteinander redeten. Inmitten der Baumgruppe erspähte Jörg die Umrisse einiger großer Äste im Schnee. Gemeinsam mit Veit machte er sich daran, sie auszugraben. Während sie an einem wuchtigen Ast zerrten, der sich im Unterholz verhakt hatte, glaubte Jörg plötzlich, sich an etwas zu erinnern. Er runzelte die Stirn, dachte kurz nach und meinte schließlich mit einem Lachen: »Mir ist gerade etwas durch den Kopf gegangen. So als hättest du gesagt, dass es dem Kardinal von Trient gar nicht darum ginge, Ketzer zu verfolgen, sondern dass er irgendwelche anderen Pläne hätte. Vielleicht habe ich das aber auch nur geträumt …«
Veit sah rasch zu den Dienern, die sich mittlerweile ein Stück von ihnen entfernt hatten. Ihre braunen Mäntel verschwammen mit der Farbe der Bäume. »Das hast du geträumt«, erwiderte er unfreundlich. »Oder dir zusammenfantasiert, betrunken, wie du gestern Abend warst …«
»He, du hast dem Bier auch gut zugesprochen«, versetzte Jörg ein wenig gekränkt. Doch Veit antwortete nicht, sondern riss mit verkniffenem Gesicht an dem Ast, der sich langsam löste. Eine Weile arbeiteten sie schweigend weiter. Die Bediensteten waren nun nicht mehr zu sehen.
Hinter ihnen erklang ein Rascheln im Unterholz, kündigte an, dass sich jemand näherte. Als Jörg aufschaute, sah er vier der Soldaten zwischen den Stämmen hervortreten. Mit ihnen hatten sie am Abend zuvor gebechert.
»Gute Ausbeute, nicht wahr?«, lachend deutete er auf einen Stapel aus Ästen, den er und Veit mittlerweile auf dem verschneiten Boden angehäuft hatten. Sein Blick suchte seinen Kameraden. Verwundert bemerkte er einen Ausdruck von Furcht in Veits Miene, dann, dass dieser sich abwandte und durch das Unterholz stolperte, weg von ihm und den Soldaten.
Immer noch verwundert sah er zu, wie zwei der Soldaten Veit folgten, ihn schon nach wenigen Schritten einholten und dem Schreiber eine Schlinge um den Hals warfen und zuzogen. Wie Veits Arme hochflogen und in wirren Bewegungen durch die Luft stießen, ehe er schließlich auf den Knien zusammenbrach.
Auch als sich eine Schlinge um seinen eigenen Hals legte und ihm die Luft abschnürte, konnte Jörg nicht glauben, was geschah. Sein Körper verfiel in Zuckungen und er stürzte zu Boden. Das Letzte, was er wahrnahm, ehe er starb, war ein leuchtend rotes Blatt, das auf dem Schnee lag. Rot wie das Seidengarn, das seine Mutter zu verwenden pflegte, und rot wie die Flammen, die ihre Werkstatt zerstört hatten.
*
Licht fiel durch Rogers geschlossene Lider und eine wütende Männerstimme drang an sein Ohr. Jemand packte ihn grob, zerrte an ihm. Die Soldaten des Kardinals – sie hatten ihn wieder gefasst. Angstvolles Entsetzen durchfuhr ihn und brachte ihn zu sich.
Ein Mann, der einen brennenden Kienspan in der Hand hielt, stand über ihn gebeugt. Ein riesenhaft verzerrter Schatten zuckte hinter ihm über die Schuppenwand. Undeutlich glaubte Roger, eine massige Gestalt und einen breiten Schädel zu erkennen.
»Was fällt dir ein, dich in meinen Stall
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