Die Buchmalerin
hören.
»Da ist niemand.« Die Vorsteherin entspannte sich.
»Es ist eine Ahnung«, sagte Donata leise. »Und ich habe in den vergangenen Jahren gelernt, meiner Ahnung zu vertrauen.«
»Dann lass uns durch den Garten gehen.« Bilhildis ergriff ihren Arm.
»Ja, tut das«, gab Luitgard ihre Zustimmung.
Während sie in die Küche zurückgingen, bemühten sie sich, kein Geräusch zu verursachen. Bilhildis öffnete die Tür, die in den Garten führte. Sie schritten über den Schnee, der auf den Beeten und Wegen lag, und stiegen am rückwärtigen Ende des dunklen Gevierts über einen geflochtenen Zaun. Danach hasteten sie, so schnell es Donatas verletzter Fuß erlaubte, durch die stillen Gassen der Stadt in Richtung des Klosters. Einmal kam ihnen ein Nachtwächter entgegen. Sie drückten sich in den Schatten eines Hauseingangs und warteten ängstlich, bis er vorbeigegangen war.
Schließlich, schneller, als es Donata lieb war, erreichten sie die Pforte des Klosters. Angespannt betrachtete sie die hohe, steinerne Wand, in der sich die Tür befand. Das lang gestreckte Dach der Kirche hob sich gegen den Nachthimmel ab. Der Schnee, der es bedeckte, glitzerte silbrig und kalt. Sie fühlte sich sehr einsam.
Bilhildis fragte ruhig: »Soll ich warten, bis eine Nonne kommt und dir öffnet?«
»Nein«, Donata schüttelte den Kopf, »es ist besser, wenn wir auch hier nicht zusammen gesehen werden.« Dennoch fühlte sie sich ein wenig getröstet.
Einen Moment schwiegen die beiden Frauen, wussten nicht, was sie sich zum Abschied sagen sollten. Schließlich meinte Donata impulsiv: »Ich habe dir nie wirklich für das gedankt, was du für mich getan hast. Und nun bringe ich dich auch noch dazu, dass du gegen deinen Willen die Stadt verlässt. Kannst du mir verzeihen?«
Ein schwaches Lächeln zog über Bilhildis’ blasses Gesicht. »Ich glaube, dass dich dein Entschluss mehr kostet als mich der meinige … Ja, ich verzeihe dir.«
Sie griff in eine Tasche ihres Mantels, nahm ein kleines, in Leder eingeschlagenes Päckchen heraus und reichte es Donata. »Bevor ich dich nicht im Fieber reden hörte, wusste ich nicht, wie viele Farben es gibt. Dies hat mir gezeigt, wie schön und reich die Schöpfung ist. Mach es irgendwann auf, wenn du in Sicherheit bist.«
Ein paar Gassen weiter erklang das Gegröle einiger Betrunkener, die näher zu kommen schienen.
»Gott behüte dich«, sagte Bilhildis leise. »Er ist das heimliche Feuer in allem, das auch in der Sonne, dem Mond und den Sternen brennt. Ich wünsche dir von ganzem Herzen, dass du deinen Frieden findest.«
»Versprich mir, dass du dich vor der Inquisition in Acht nimmst«, stieß Donata hervor.
Bilhildis lachte leise und sagte mit ein wenig zittriger Stimme: »Ich verspreche es.«
Nachdem Bilhildis im Dunkel der Gasse verschwunden war, ging Donata zur Pforte, fasste den eisernen Klopfer und schlug gegen die Tür. Stumpf hörte sie zu, wie der Ton im Gebäude widerklang und langsam verebbte.
Als nach einer Weile Schritte im Innern des Gebäudes ertönten und die Tür aufgerissen wurde, stand eine Nonne vor ihr, die eine Kerze in den Händen hielt. Ihre Wimpern und Augenbrauen waren so hell, dass sie beinahe mit der weißen Haut verschmolzen. Dies verlieh den blassgrauen Augen, die Donata ohnehin schon unfreundlich musterten, einen erst recht hochmütigen Ausdruck.
»Was fällt dir ein, um diese Zeit an die Tür zu klopfen?«, fuhr die Nonne sie an. »Warte gefälligst wie die anderen Bettler! Suppe gibt es erst am Mittag.«
Donata richtete sich auf und sagte ruhig, wie sie es einmal bei den Benediktinerinnen gelernt hatte: »Ich soll den Schwestern in der Küche helfen. Eure Äbtissin weiß Bescheid.«
Für einen Moment flackerte Verwunderung in den Augen der Nonne auf. Donata begriff, dass sie nicht gesprochen hatte wie eine ungebildete, einfache Frau. Sie erschrak und senkte demütig den Kopf.
»Komm mit.« Die Nonne bedeutete Donata mit einer ungnädigen Handbewegung, dass sie ihr in eine kleine Halle folgen sollte, deren Steinboden mit sauberem Sand bestreut war. Am anderen Ende führte eine breite steinerne Treppe in ein oberes Stockwerk. »Aber gib Acht, dass du den Boden nicht beschmutzt.«
Donata glaubte, einen schwachen Geruch von Kardamom, Anis und Kampfer wahrzunehmen, Gewürze, die auch die anderen Benediktinerinnen im Winter in ihren Räumen verbrannt hatten, um die Luft von schlechten Ausdünstungen zu befreien. Während sie der Nonne durch die Halle und
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