Die Buchmalerin
Leute wandte. »Sammelt die Stoffe ein und seht zu, dass diese beiden den Wagen fern bleiben.«
Begleitet vom Gelächter der Soldaten kam Roger schwerfällig auf die Füße und wankte einige Schritte beiseite. Der Knecht folgte ihm. »Das Gesinde des Kardinals ist nicht sehr freundlich«, murmelte er.
»Nein, das ist es nicht«, Rogers Atem ging rasch. Doch während er auf die Ställe zustrebte, bekam er sich wieder in die Gewalt. Er musste versuchen, sich unter die Diener zu mischen, die im erzbischöflichen Palast arbeiteten. Dort würden sich viele fremde Knechte aufhalten und, falls der Erzbischof in den nächsten Tagen ein Festmahl zu Ehren des vornehmen Gastes veranstaltete – wovon auszugehen war –, auch dringend gebraucht werden.
Auch wenn ich schon lange keinen Dienst bei einem Festmahl mehr getan habe, dachte Roger, kann ich es wahrscheinlich immer noch mit jedem der Knechte des Erzbischofs und seiner Gäste aufnehmen. Ja, sein Herr hatte dafür gesorgt, dass er in vielen Dingen ausgebildet worden war, und seine Lehrer waren gut, wenn auch streng gewesen.
*
Etwa zur selben Zeit ging Bilhildis durch das Eigelsteinviertel in Richtung des nördlichen Stadttors. Die Dämmerung, in der sie sich von Donata vor dem Kloster Maria im Kapitol verabschiedet hatte, war einem kalten, grauen Tag gewichen. Bilhildis fror. Sie zog ihren groben Wollumhang enger um sich und rückte das schwere Bündel auf ihrer Schulter zurecht. Es enthielt Kräuter, Salben und saubere Tücher. Luitgard hatte die Lüge auf sich genommen. Sie hatte den anderen Beginen gesagt, dass Bilhildis sich um einen schwer kranken Onkel kümmern müsse und deshalb einige Zeit bei ihren Verwandten am Niederrhein verbringen würde.
Die junge Begine hob den Blick von dem schmutzigen Schnee, der die Gasse bedeckte. Lastende Wolken überzogen den weiten Himmel. Die Ahnung von Frühling, die sie vor einigen Tagen in der Stadt gespürt hatte, war wieder verschwunden – so als hätte es sie nie gegeben. Umgeben von weitläufigen Gärten, standen da und dort niedrige Häuser zu beiden Seiten der Gasse. Die Fachwerkwände waren von Unrat beschmutzt und die Dächer rauchgeschwärzt. Die kahlen Bäume hinter den Zäunen wirkten trostlos und auch die Mauern der nahen Kirche Sankt Kunibert mit ihren beiden eckigen Türmen an der Ostseite – seit gut zwanzig Jahren wurde schon an ihr gebaut – erschienen Bilhildis düster und beklemmend.
Während sie sich ihren Weg durch den Matsch suchte, sagte sie sich, dass Gott gut war. Sie und alle Menschen ringsum, die sich wie sie unter der Kälte duckten, waren in Seiner Hand. Gott würde niemanden verloren gehen lassen. Trotzdem fühlte sie sich traurig und mutlos. Bilhildis hatte fast das Tor im nördlichen Teil des Walls erreicht, als sie eine Frauenstimme ihren Namen rufen hörte. Verwundert blieb sie stehen und drehte sich um.
Eine ältliche Frau drängte sich an einem Karren vorbei, der mit Fässern beladen war und fast die gesamte Breite der Gasse einnahm. Sie hastete auf Bilhildis zu, achtete nicht darauf, dass sie einige Male beinahe im Schnee ausrutschte. Als die Frau die junge Begine erreicht hatte, hielt sie Bilhildis am Arm fest. Ihr Schleier war auf ihre Schultern geglitten und entblößte glanzloses blondes Haar, das graue Strähnen durchzogen. Ihr Gesicht war knochig und hager, die Augen beinahe kreisrund und von der Farbe reifer Kastanien. Bilhildis erkannte die Frau. Sie war die Gattin eines Seifensieders, der sie manchmal bei Krankheiten geholfen und vor einigen Jahren bei einer schweren Geburt beigestanden hatte.
»Ihr müsst aufpassen, wohin Ihr geht«, sagte Bilhildis erschrocken. »Ihr hättet leicht gegen einen Zaun gequetscht werden oder unter den Karren geraten können.«
Doch die Gattin des Seifensieders beachtete ihre Worte nicht. Angst und Hoffnung mischten sich in ihrer Stimme, als sie hervorstieß: »Gott sei Dank, dass ich Euch gefunden habe. Die Beginen haben mir gesagt, dass Ihr die Stadt verlassen wollt. Ihr müsst mit mir kommen. Mein Sohn hat sich an heißer Lauge verbrannt. Den ganzen Leib …« Die Frau brach in ein Schluchzen aus und wollte Bilhildis mit sich ziehen.
Die junge Begine machte sich von ihr los. »Ich kann nicht mit Euch gehen. Sucht Johannes, den Arzt in der Machabäergasse, auf. Er versteht ebenso viel von der Heilkunst wie ich. Oder geht zu den Benediktinerinnen von Maria im Kapitol. Auch eine der Nonnen ist heilkundig.«
»Sie können meinem Jungen
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