Die Buchmalerin
Unrecht zu ahnden. Der andere Teil, um die vermeintlich Schuldigen zu schützen.«
»Wenn Ihr meint …«, ein unsicheres Lächeln huschte über das Gesicht des Erzbischofs.
Die Äbtissin trat vor. Der Wind riss an ihrem Gewand und an ihrem Schleier. Sie schob ihn ärgerlich zurück und verengte ihre alten Augen gegen das stechende Licht der Sonne. »Was war mit den Soldaten, die das Haus bewachten?« Ihre Stimme hatte einen spröden Klang, war aber dennoch durchdringend. »Warum haben sie nichts unternommen, um den Pöbel abzuwehren?«
»Nun, der Pöbel war leider in der Überzahl …«, wandte Heinrich von Müllenark ein und warf einen unruhigen Blick auf die Menge, die Dreschflegel, Knüppel und Äxte in den Händen hielt.
Der Kardinal hob seine Hand. »Es waren meine Leute …«, sagte er sanft. Er nickte der Äbtissin zu. »Ihr habt Recht. Die Soldaten haben ihre Pflicht vernachlässigt und werden bestraft werden.«
»Wenn Eure Leute die Beginen nicht schützen können, dann sollten die Frauen, bis das Gerichtsverfahren wegen Ketzerei gegen sie eröffnet wird, an einem sicheren Ort untergebracht werden. Schickt sie zu ihren Familien oder in die Klöster der Stadt. Die Stadttore sind bewacht. Sie können sich dem Gericht nicht entziehen.«
Karl Herkenrath, dessen Gesicht blutverschmiert und Kleidung zerrissen und verschmutzt war, trat neben die Äbtissin. »Ja, ich bitte Euch, lasst die Frauen zu ihren Familien gehen. Wir werden dafür sorgen, dass sie sich dem Gericht stellen.«
Die Menge antwortete mit einem Gemurmel, das teils Zustimmung, teils gereizte Ablehnung ausdrückte.
Die Äbtissin nahm wahr, dass der Legat des Papstes sie nachdenklich musterte. Sein Pferd tänzelte und warf den Kopf zurück. Er brachte es mit einem kaum merklichen Griff am Zügel zum Stehen. Irgendwo bewegte sich eine Waffe und reflektierte einen Strahl der Sonne. Das Licht zuckte durch die Gasse und verglomm wieder. Der Kardinal treibt ein Spiel, das ich nicht verstehe, ging es ihr abermals durch den Kopf.
Heinrich von Müllenark nickte. »Nun, dieser Vorschlag ist zu bedenken«, meinte er zögernd.
Der Kardinal lächelte erst ihn, dann die Äbtissin liebenswürdig an. »Gewiss, die Frauen müssen geschützt werden. Niemand soll ihnen ein Leid zufügen.« Er schwieg und schaute über die niedrigen, mit schmutzigem Schnee bedeckten Dächer, wo der Wind den Rauch aus den Schornsteinen in weißlichen Wirbeln verteilte. »Aber die anderen müssen auch vor ihnen geschützt werden. Vergesst nicht, gegen die Beginen besteht die Anklage der Zauberei und Ketzerei. Beide Vergehen entspringen derselben Wurzel, der Abkehr von Gott …« Er sprach langsam und bedächtig weiter. »Der Glaube und die Kraft der Kirche sind immer noch stärker als das Böse. Heinrich von Müllenark, Ihr seid sicher einverstanden damit, die Frauen in einem Gebäude Eures Palastes unterzubringen und sie dort bewachen zu lassen?« Er wartete nicht auf eine Antwort des Erzbischofs, sondern wandte sich der Äbtissin zu. »Und Ihr, Ehrwürdige Mutter, habt dagegen doch sicher auch keinen Einspruch zu erheben? Ihr bezweifelt nicht die Kraft des Glaubens und der Kirche?«
Sie maßen sich mit Blicken.
»Nein …«, erwiderte sie schließlich trocken. »Wer könnte das tun?«
Der Kardinal neigte höflich den Kopf, ehe er wieder die Hand hob und die Soldaten anwies, ihm zu folgen. Karl Herkenrath wollte ihm in die Zügel fallen. Doch ein Bewaffneter, der hinter Enzio von Trient ritt, hieb mit einem Peitschenstiel auf ihn ein und der Zunftvorsteher taumelte zurück. Die Soldaten trieben die Menge auseinander und führten die Beginen fort. Luitgard drehte sich noch einmal zur Äbtissin um. Für einen Moment wich die Gefasstheit aus ihrer Miene und ließ tiefe Angst erkennen.
Barsch sammelte die Benediktinerin ihre Nonnen um sich. Während sie durch die engen Gassen schritten, in denen sich noch immer Menschen drängten und Schimpfworte hin und her flogen, fühlte sich die alte Frau ohnmächtig und geschlagen – Empfindungen, die sie aus tiefster Seele hasste. Gleichzeitig war sie zornig über sich selbst. Wieder hatte sie sich übertölpeln lassen und den Menschen, denen sie helfen wollte, mehr geschadet als genutzt. Wenn Gott mir in den letzten Jahren meines Lebens noch Demut beibringen will, dachte sie grimmig, dann sollte er dies nicht auf Kosten anderer tun.
Sie hatten schon fast den Eingang des Klosters erreicht, als sie eine zittrige Männerstimme ihren
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