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Die Bucht der schwarzen Perlen

Die Bucht der schwarzen Perlen

Titel: Die Bucht der schwarzen Perlen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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Schrift. »Wer diese Blätter findet, sei gesegnet und hoffe auf den Herrn. Ich bin ein Missionar, ein Pater des Ordens vom Leiden Christi. Vierundfünfzig Jahre bin ich geworden, und Gott hat beschlossen, mich nun in sein himmlisches Reich zu holen. Ich weiß, daß ich mich beeilen muß, noch alles niederzuschreiben … mein Herz hält nicht mehr lange durch, es sticht in der Brust und würgt mir den Atem ab. Aber ich will noch so lange leben, wie ich brauche, um Rechenschaft abzulegen über mein Tun.
    Ich bin auf diese Insel gekommen im Jahre 1951, genau an einem 21. März. Kurz vor Ostern – ein gutes Zeichen des Herrn, dachte ich. Das Fest der Auferstehung. Die Verkündung des ewigen Lebens. Nur durch Zufall bin ich hier gelandet. Mein tongalesischer Steuermann verirrte sich mit dem kleinen Schiff, das ich immer benutzte, um meine weit verstreute Gemeinde im Archipel zu besuchen. Er war betrunken, und als wir die Insel auftauchen sahen, schrie er: ›Hier war ich noch nie! Die Insel kenne ich nicht! Es müssen Heiden sein, Pater, sie werden uns töten!‹ Aber sie töteten uns nicht. Sie ließen Nukunuku , meinen Steuermann, und sein Boot wieder wegfahren. Ich aber blieb bei ihnen auf dieser einsamen Insel. Ich verstand die Sprache der Menschen, ich erzählte ihnen von Gott, von Maria und Jesus, und sie hörten mir zu wie einem Märchenerzähler.
    Ein Jahr ist nun vergangen, ein schönes, fruchtbares Jahr. Sie haben beten gelernt und wie man ein Feld nutzbringend bestellt, ich habe mit ihnen geschnitzt und geflochten, habe die Neugeborenen getauft und die Alten begraben, ich habe mit ihnen gelebt, als sei ich einer der Ihren. Aber eines Abends fragte mich der Häuptling: ›Wer ist eigentlich dein Gott, und was will er von uns?‹ Da wußte ich, daß ich ein ganzes Jahr vertan hatte … hochmütig in meiner Sicherheit und der Gewißheit, es genüge, von Gott zu erzählen. Versagt deshalb mein Herz? Ruft mich der Herr zum Rapport? Ich weiß es nicht. Ich weiß nur, daß mich die Kraft verläßt, daß mein Herz schwächer und schwächer wird und der Druck in der Brust immer stärker.
    Wer diese Zeilen liest, möge ein Gebet für mich sprechen. Ich bitte darum, denn ich gehe schweren Herzens von hier weg. Ich war gerne unter diesen Menschen, auch wenn es mir nicht gelang, Gott zu ihnen zu bringen. Fünfundneunzig Prozent der Tongalesen sind Christen … aber auch die restlichen fünf Prozent sind Kinder Gottes. Du, der du diese Zeilen liest, sag es ihnen. Amen.«
    Ron legte die Seiten zusammen und blickte nachdenklich auf das silberne Kreuz. Ein merkwürdiges Gefühl kam in ihm auf, obwohl er von Priestern nicht viel hielt. Aber hier hatte ein Mensch seine Seele aufschreiben lassen, bevor sein Herz versagte. Ein einsamer Mensch, der gescheitert war.
    Er griff nach der Bibel, klemmte sie unter den Arm und verließ die windschiefe Hütte. Draußen zog die Dunkelheit über das Meer, der Horizont wurde flammendrot in der untergehenden Sonne, grüngolden schimmerte die Lagune, und die Palmen wurden zu riesigen Scherenschnitten.
    Das Mädchen, das ihn gewaschen und ihm das Essen gebracht hatte, saß auf einem großen, glattpolierten Stein am Strand und blickte über den Ozean.
    »He!« rief Ron. »Auch wenn du mich nicht verstehst … sieh mir genau zu.« Er ging zu ihm, streckte die Bibel aus, tippte auf den schwarzen Einband und machte dann die Gesten des Grabens.
    Das Mädchen schien ihn zu verstehen, denn es lächelte, erhob sich und ging ihm voraus. Nicht weit von der Hütte entfernt blieb es stehen und zeigte auf eine Stelle mitten in einer Palmengruppe.
    »Hier?« fragte Ron und sah auf den glatten Boden. Er zeigte mit dem Finger darauf, und das Mädchen nickte wieder.
    Natürlich, dachte Ron. Fünfunddreißig Jahre ist es her, da gibt es keine Spuren mehr. Hier haben sie ihn verscharrt, den weißen Fremden, der so schöne Märchen erzählte von einem Gott, der alle Menschen liebte. Und dann war ein Taifun gekommen, die halbe Insel stand vielleicht unter Wasser, die Palmen knickten wie dürre Gräser, die Dächer der Häuser flogen in den tobenden Himmel, und die Eingeborenen flüchteten in die erhöhte Mitte der Insel und flehten, wie immer, ihre zürnenden Götter an. Da ist ein Jahr zu wenig, um von einem anderen, gütigen Gott zu predigen. Wo war er denn auch, dieser Gott, als der Taifun die Bäume knickte?
    »War's so, Emanuel Richards?« fragte Ron laut. Er trat in den Kreis der Palmen und blickte auf die

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