Die Bucht des grünen Mondes
Rohr, mit dem sie sich gegenseitig Epena in die Nasen geblasen hatten, ruhte vergessen in seiner Hand. Amely starrte ihn an, bis die Falkenfedern auf seinen Schultern, auf Rücken und Brust zu zittern begannen. Sie wusste, dass die Federn schwarz waren, doch jetzt erschienen sie ihr rötlich. Sie bewegten sich hin und her, als wollten sie ihn in die Lüfte erheben.
Tu es nur, aber ich will mit.
Sie wollte sich herumwälzen, um seinen Arm zu umklammern. Doch sie konnte die bleischweren Glieder nicht heben.
Ihr Stöhnen brachte ihn dazu, sich ihr zuzuwenden. Langsam legte er das Rohr beiseite. Er ließ sich an ihrer Seite nieder und schob einen Arm unter ihren Nacken. Mit den Fingerspitzen strich er Schweiß und Haarsträhnen aus ihrer Stirn. Und mit der Zunge leckte er ihr über die Lippen, fuhr darunter und umspielte den Tropfenschmuck. Es war wie das Liebkosen eines angenehm warmen Feuers. Aus diesem Rausch wollte sie niemals aufwachen. Mit aller Kraft hob sie eine Hand und umfasste seine.
Wir fliegen gemeinsam der Sonne entgegen. Wir sind schon ganz oben. So kann es nicht bleiben, so bleibt es nie. Was jetzt kommt, kann nur ein Unwetter sein.
6. Kapitel
Der Donnerknall war wie ein gewaltiger Kanonenschuss. So fingen oft Gewitter an. Amely hob den Kopf von Rubens Brust. Jäh fing es an zu schütten, dass das Dach erzitterte. Ruben schob sich unter ihr hervor und stieg aus der Hängematte. Er zog den Vorhang beiseite. Nach einiger Zeit kehrte er zu Amely zurück. «Es wird schlimm werden», sagte er. Das Geprassel übertönte seine Worte. «Die Schweine brüllen wie noch nie.»
Im taghellen Licht der rasch aufeinanderfolgenden Blitze gingen die langen Regenfäden nahtlos in die herabhängenden Blätter der Dächer über. Sofern es noch Dächer gab. Hier und da wankten ganze Hütten. Sogar das große Frauenhaus ließ der Regen wie unter Fausthieben erbeben. Kein nächtlicher Regen – eine schwarze Sintflut. Hütten neigten sich und fielen in sich zusammen. Blätter und Lianen schienen von unsichtbaren Dämonen besessen zu sein, wie sie wirbelnd tanzten und flogen. Rindenstücke schlugen gegen Arme und Beine; der Wind peitschte aus allen Richtungen. Das ganze Dorf hatte sich auf dem Platz versammelt. Niemand wagte es, sich in der Nähe der Hütten und drohend knirschenden Bäume aufzuhalten. Überall um die Menschen herum krachte es von herabfallenden Ästen. Plötzlich schien der Häuptlingsbaum zu explodieren. Der Aufschrei aus Hunderten Kehlen gellte in Amelys Ohren. Sie sah, wie die Krone aufflammte und sogleich vom Regen gelöscht wurde. Äste stürzten hinab, von Blattwerk umwirbelt. Schreie, Stöße, wogende Leiber, der Regen wie Nadelstiche auf der Haut – ihr war es wie ein Rausch, von düsteren Urwalddämonen entfacht.
Ein Mann lag unter einem schenkeldicken Ast. Seine Hand fuhr durch die Luft. Amely ließ aus den Armen fallen, was sie bei ihrer Flucht aus der Hütte zusammengerafft hatte, stürzte zu ihm und umfasste seine Hand.
«Amely, Frau der
Anderen
», rief Rendapu. «Ich glaube, der Vantu hat mich verletzt. Hol doch dein Instrument und spiele ein Heil-Lied über mir. Das hat mir damals so gut geholfen.»
«Aber ich kann nicht», erwiderte sie, und weil ihr die Wörter für
mein Instrument ist verloren
nicht einfielen: «Der Regen ist so laut.»
Das war er; Rendapus Flüstern ging unter in der Naturgewalt. Seine Lippen bewegten sich. Amely sah mehr, als dass sie hörte, wie er bat, die Last von seinem Körper zu nehmen. Sie war nicht dazu imstande, sie konnte nur weiter seine Hand halten. Warum half denn niemand? Aber da hoben schon drei, vier Männer den gewaltigen Ast herunter; es mochte an Zeit kaum mehr als ein Herzschlag vergangen sein. Jemand packte Amely an den Schultern und stieß sie in Richtung der Frauen, die sich um Yami drängten. Alle waren bepackt mit den Säuglingen und Habseligkeiten. Hãgu, die Frau Pytumbys, kauerte mit verzerrtem Gesicht auf dem Boden und hielt sich den hochschwangeren Leib. Pinda, der alte Schamane, lag auf der Erde, die der Regen bereits in knöcheltiefen Schlamm verwandelt hatte, und drückte seine zerrupfte Federkrone an die Brust. Tiacca hielt sich den blutenden Kopf; wahrscheinlich war es ein fallender Ast gewesen, der sie verletzt hatte. Niemand kümmerte sich um sie, denn jeder war noch damit beschäftigt, überhaupt zu begreifen, was hier geschah. Zögernd ging Amely auf Tiacca zu. Es war ihr nie gelungen, die Freundschaft der Jägerin zu
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