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Die Bucht des grünen Mondes

Die Bucht des grünen Mondes

Titel: Die Bucht des grünen Mondes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Isabel Beto
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gewinnen.
    Ein Schwein rannte vor ihre Füße und brachte sie fast zu Fall. Ein Axthieb fällte es. Auch die anderen Queixadas fielen unter blutigen Hieben rasender Männer, als hielte man sie für schuldig an dem Unwetter. Im Licht der rasch aufeinanderfolgenden Blitze färbte sich der Schlamm mit roten Schlieren. Schweine und Männer brüllten, Frauen und Kinder kreischten. Die Welt war getaucht in Wahnsinn. Amely floh. Im Schlamm glitt sie aus, bohrte die Finger hinein und stemmte sich hoch.
    «Bleib!»
    Kräftige Hände hielten sie fest und ließen sie herumwirbeln. Amely starrte in das blutige Gesicht der Jägerin. Sie wollte sich losreißen, weiterrennen. Eine kräftige Ohrfeige brachte sie zur Besinnung.
    «Niemand rennt in den Wald, siehst du?», schrie Tiacca sie an. «Nur du! Du bist eben immer noch eine dumme
Andere
, und das bleibst du auch.»
    Hinter ihr trottete Amely auf den Dorfplatz zurück. Ruben stapfte auf sie zu und schüttelte sie. Aber kein tadelndes Wort kam über seine Lippen. Aus Sorge? Aus Erschöpfung? Auch er hielt ein Messer in der Hand, mit dem er auf die Schweine eingedroschen hatte; ihr Blut war ihm bis ins Haar gespritzt. «Geh zu Yami», befahl er ihr und schob sie kurzerhand zu der Häuptlingsfrau, die schlammbeschmiert auf dem Boden saß, weil ihr mächtiges Gewicht sie niederzwang, und einen dicken Kautschukklumpen mit ihren Zähnen bearbeitete. Um sie hockten Frauen, umschlangen sich, wiegten sich gegenseitig und heulten. Amely setzte sich zu ihnen. Sie heulte nicht. Sie war wie betäubt.
     
    Der Regen, wenngleich schwächer, dauerte an. Überall wuchsen Tümpel und Bäche aus dem Boden. Das Krachen hörte auf: Die schwachen Bäume waren längst gefallen. Ganze Erdschollen rutschten an Hängen hinab. Das Dasein war nur noch Nässe, Schmutz und Hunger. Längst war roh vertilgt, was sich auf den zerstörten Pflanzungen gefunden hatte. Die Jäger brachten wenig; es schien, als habe das Unwetter sämtliche Tiere verjagt. Vergebens fragte sich Amely, wie viele solche Tage sich aneinanderreihten – der Regen schwemmte auch jegliches Zeitgefühl fort. Doch auch der Tag, an dem er endete, kam. Die Sonne schenkte neue Kraft. Amely, die wie alle Frauen, Kinder und Alte im großen Haus wohnte, das als Einziges standgehalten hatte, stapfte durch den Schlamm zu Rubens Hütte. Er, wie alle kräftigen Männer, hatte Schutz unter starken Bäumen gesucht. Oder auch im Freien gehaust.
    Das Dach bestand nur noch aus einzelnen Palmblättern. Die Wände – Gerippe aus Flechtwerk; der Regen hatte den Lehm fortgespült. Ihrer beider Habseligkeiten lagen verstreut, von Schlamm bedeckt. Sie sank auf die Knie und grub mit blanken Fingern, zog ihre völlig unbrauchbar gewordene Violine aus der Erde und einige unleserliche Fetzen ihrer Briefe. Rubens Schmuck hingegen konnte gewaschen werden; sie sammelte ihn in einer Schale. Eigenen Schmuck hatte sie nicht verloren, denn die Blüten der Frauen waren ohnehin vergänglich. Aber wo war ihr
Morpho menelaus
? Das schwere Glas konnte doch nicht fortgeschwemmt sein? Sie grub den Boden der Hütte um. Aber das Einzige, was sie fand, war der kleine hölzerne Tukan, den Ruben ihr geschnitzt und bemalt hatte. Die Farben waren fort, das Tierchen wirkte seines Lebens beraubt. Amely legte es in die Schale, raffte noch einige weitere Gefäße auf, die heil geblieben waren, und wollte sich erheben. Da spürte sie Schwäche und sackte auf ihr Gesäß.
    Sie weinte. Nicht um ihre verlorenen Sachen. Nicht einmal so sehr um das Unglück, das über das Dorf hereingebrochen war – darüber hatte sie bereits reichlich Tränen vergossen. Niemals würde sie das Bild vergessen, wie Tate’myi, die die schönsten Blumenketten zu fertigen wusste, ihren neugeborenen Säugling im Schlamm erstickt hatte. Ganz ruhig hatte sie es getan, und jene Frauen, die Zeuge geworden waren, hatten keinen Anstoß daran genommen.
Sie kann es nicht durchbringen
, hatte Yami ebenso ruhig erklärt. Doch wie alle anderen war auch ihr Gesicht starr gewesen. Nur Amely hatte leise geweint.
    So wie jetzt. Ach, warum? Nur langsam wurde es ihr klar.
Diese Hütte war nichts als ein Luftschloss
, dachte sie.
Wie hätte ich sonst meine Vergangenheit so vollständig vergessen können? Meine Herkunft? Das, was mich auf ewig von Ruben trennt?
    Nein, sie war nicht Kuñaqaray sai’ya, die Frau mit dem Gold im Mund, die Geliebte eines freien Indios. Sie war immer noch Amely Wittstock. Kilians Frau.
    Sie schlang die

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