Die Bucht des grünen Mondes
hier hatte der oberste Schamane entschieden. Sanbiccá ließ die Schultern hängen. Schließlich stieß einer der Männer sie fort.
«Sie hat recht!» Nun war es Tiacca, die auf Ruben zukam. «Du sorgst immer für Verwirrung. So wie du To’anga verwirrt hast; darum nur starb er. Dann die Frau dort», verächtlich nickte sie in Amelys Richtung. «Meinem Vater hattest du versprochen, den Schädel des Häuptlings der
Anderen
zu bringen. Stattdessen hast du sie gebracht. Mit einem Zauber hast du uns betäubt, dass wir es hinnahmen. Davon, die Ambue’y von uns fernzuhalten, war seitdem nicht mehr die Rede. Und warum?» Sie schrie es: «Warum?»
Ihre Glieder bebten, so erregt war sie. Amely konnte hören, wie sie atmete. Es war still geworden; noch nicht einmal die Kinder taten einen Mucks. Die Männer um Oa’poja hatten die Augen aufgerissen.
«Ich kenne die Antwort. Sie hat dich daran erinnert, wer du bist. Niemals hat jemand gewagt, es auszusprechen. Aber ich sage es nun: Du bist ein
Anderer
.» Tiacca machte zwei rasche Schritte auf ihn zu und spuckte ihm ins Gesicht. «Dich hätte mein Vater niemals erwählt.»
Yami stieß ein Gebrüll aus, das klang wie das eines wütenden Queixadas. Zornentbrannt wogte sie auf Tiacca zu. «Deine Wankelmütigkeit ist eine Schande!» Kurzerhand verpasste sie ihrer Tochter eine Ohrfeige, die sie in die Knie zwang. «Erst wolltest du Aymáho nicht, dann doch, dann wieder nicht, und kaum hatte er eine Frau, wolltest du ihn wieder. Aber deine Verleumdungen werden dir nicht mehr helfen. Und du weißt das auch, deshalb bist du so von Zorn zerfressen. Hätte doch der Baum
dich
erschlagen!»
Tiacca hockte zu ihren Füßen, raufte sich die Haare und knurrte und heulte wie ein wundes Tier. Amely, die am Rand des Platzes zwischen anderen Frauen stand, spürte den Wunsch, zu Rubens Hütte zu laufen; aber die stand ja nicht mehr. So blieb ihr nichts, als starr zu stehen und zu hoffen, dass niemand sie in dieses entwürdigende Schauspiel einbezog.
Doch die Jägerin tat ihr nicht den Gefallen. Jäh sprang sie auf und stürzte auf Amely zu.
Amely war sich sicher, dass sie ihr an die Kehle gehen wollte. Sie riss die Hände hoch. Dicht vor ihr blieb Tiacca stehen. Unruhig schlackerte die Frau mit den Armen, als könne sie ihren sehnlichsten Wunsch, sie zu erwürgen, nur mit Mühe unterdrücken.
«Dein Hiersein erzürnt alle Götter und Geister», rief Tiacca. «Du hast das Unglück gebracht!»
Das hat Kilian damals auch gesagt. Aber ich mag kein Sündenbock sein
. Ehe der Gedanke gedacht war, hatte sie Tiacca über den breiten Mund geschlagen. Es tat gut. Oh, es tat gut! Allerdings würde die Jägerin sie dafür anfallen, und diesen Kampf konnte sie nicht gewinnen.
Doch Tiacca wich zurück, als sich Ruben mit halbwegs sicherem Schritt näherte. Er trat vor Oa’poja. «Bevor mir die Frauen in die Rede fielen, wollte ich dir sagen, dass ich
nicht
Kazike werde. Tiacca sagt ja die Wahrheit. Ich bin Yayasacu wie ihr, aber ich bin auch ein Ambue’y. Ihr habt das immer gewusst und es mich auch spüren lassen. Bist du sicher, dass deine Entscheidung den Geistern entsprang, Schamane? Oder nicht doch eher der Einsicht, dass dieses unglückliche Volk der Führung des stärksten Jägers bedarf? Aber du siehst ja, es gibt Unruhe, kaum dass du es verkündet hast. Ich bin nicht der Richtige.»
Seine Finger schlossen sich um die goldenen Anhänger. «Als ich in diesen Stamm geriet, habe ich kämpfen müssen, dass man mir meine Amulette nicht fortnahm. Und so ist es geblieben: Stets habe ich darum gerungen, ein Yayasacu zu sein. Der Kampf, auch euer Häuptling zu sein, würde mich und das Volk aufreiben.»
Aber dies war nicht allein der Grund. Tiaccas Worte hatten ihn sichtlich getroffen. Er stand aufrecht und starr, als habe ihm die Wahrheit das Epena aus den Adern getrieben.
Oa’poja räusperte sich. «Lasst uns Rendapu ehren. Auch wenn es keine angemessene Totenfeier werden wird.»
Mittlerweile hatten die Frauen alles Essbare auf Rindenstücke gelegt. Einige Männer schlugen mit Schlegeln gegen den Baum des Häuptlings. Der düstere Ton geblasener Bambusrohre kroch in alle Glieder. Die Schamanen versammelten sich, begannen zu singen und zu tanzen. Nacheinander schlossen sich die Männer an. Nur Ruben blieb stehen.
«Ich wollte Aymáho wirklich», sagte Tiacca düster. «Dann kamst du.»
Er legte eine Hand auf Amelys Schulter. «Mein Name ist Ruben.»
Es krachte im Unterholz. Ängstlich
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