Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Bucht des grünen Mondes

Die Bucht des grünen Mondes

Titel: Die Bucht des grünen Mondes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Isabel Beto
Vom Netzwerk:
Arme um die Knie und machte sich so klein wie möglich. Es war ein Traum gewesen. Und Träume pflegten zu enden.
    Zum ersten Mal, seit sie in der Neuen Welt war, fror sie.
     
    Die Sonne machte den Schlamm zu Stein. Hier konnte man vorerst nicht mehr leben. Die Frauen erzählten, dass man alle paar Jahre ein Dorf aufgeben musste. Nicht nur Unwetter zwangen die Yayasacu dazu, sondern auch die ausgelaugten Böden ihrer Pflanzungen. Und alle paar Jahre entzündeten sie die Hütten, auch dann, wenn sie unbeschädigt waren; denn irgendwann ließ sich des Ungeziefers nicht mehr Herr werden, indem man gegen die Stützpfosten schlug. Amely half, die mittlerweile wieder trockenen Überbleibsel in Brand zu stecken. Die Männer hingegen umringten den in Flammen gehüllten Scheiterhaufen mitten auf dem Platz. Ihr Geschrei und ihr Geheul begleiteten Rendapu zu jenem Geisterort, von dem sie glaubten, dass es das Jenseits sei. Amely erstaunte es, ihre Gesichter tränenüberströmt zu sehen. Die Frauen ließen sich anstecken; und so war das Dorf erfüllt von Weinen und Klagen.
     
    Nacheinander wankten die sechs Männer zurück auf den Platz und sanken auf die Knie. Alle trugen die Spuren des Epena-Rausches unter den Nasen. Die Frauen beeilten sich, ihnen Kalebassen zu reichen; und die Männer schütteten sich das Wasser über Köpfe und Gesichter. In Schlieren rann die rote Ritualfarbe über ihre Körper. Amely hatte sieben Männer gezählt, die zur Höhle der Toten aufgebrochen waren. Wo war Pinda? Ruben kroch über den Schlamm zu ihr. Wie so oft kannte er ihre Gedanken. «Pinda ist fortgegangen, um in der Wildnis zu sterben», sagte er schwerfällig. «Er will die Walddämonen besänftigen.»
    «Aber das ist doch sinnlos!» Fassungslos starrte sie in seine geweiteten Pupillen. Vor allem anderen war ihr die Religion der Yayasacu am unverständlichsten geblieben. «So holt ihn doch zurück.»
    «Er ist längst tot. Er ist vom Roten Felsen gesprungen.»
    Ihr kamen die Tränen. Von den Schamanen war er der Einzige gewesen, der Rendapus Beispiel gefolgt und ihr ohne Scheu begegnet war. Die anderen hatten sie bis zuletzt mit Misstrauen betrachtet. Ausgerechnet diese beiden Männer waren nun tot. Pindas Frau Sanbiccá wälzte sich heulend im Dreck. Andere Frauen wankten zu ihr und zogen sie in Yamis Kreis, wo ihr Klagegeschrei endlich verebbte.
    Die Männer, die in der Höhle gewesen waren, kämpften sich auf die Knie. Gegenseitig mussten sie sich halten, als sie sich nebeneinander aufstellten, den Ersten Schamanen in ihrer Mitte. Oa’poja verschaffte sich Würde, indem er die Füße fest in den Boden stemmte, sich reckte und den Blick über das gepeinigte Volk schweifen ließ. Irgendwann hatte Ruben erzählt, dass Oa’poja die Stelle des Häuptlings einnehmen würde, sollte diesem etwas geschehen. Doch nur, bis er einen anderen benannte. Das war nicht immer der Sohn – zumal Rendapu nur die Tochter hinterlassen hatte. Weibliche Kaziken gab es nur in Legenden.
    «Die Geister haben zu mir gesprochen», rief Oa’poja mit kräftiger Stimme, die alle Aufmerksamkeit anzog. «Wir gehen weiter nach Süden, dort, wo fruchtbare schwarze Erde ist. Wessen Vater bei Vollmond starb, der ist der Sohn eines Gottes. Der soll Kazike werden.» Er sah Ruben an. «Dein Vater starb bei Vollmond. Nicht nur das: Ein Jaguar tötete ihn bei der Jagd.»
    Amely durchzuckte Stolz. Doch der wurde sofort von einem anderen Gedanken verjagt:
Wenn er Häuptling wird, bleibt er für immer ganz und gar Aymáho.
    Ruben wirkte überrascht. Er wankte aus der Linie der Männer und wandte sich ihnen zu.
    «Ich werde …»
    Ein schriller Wutschrei unterbrach ihn. Es war Sanbiccá, die wie eine Furie über den Platz rannte und sich zwischen ihn und die Männer stellte. «Nicht du!» Die alte Frau schlug sich gegen die Wangen, die sie sich blutig gerissen hatte. «Ich weiß noch, wie es war, als du das Unglück zu uns brachtest.
Ich
hätte dich nicht anstelle meines toten Sohnes angenommen!»
    Amely war sich sicher, dass gleich einer aus der Reihe brechen und ihr heftig ins Gesicht schlagen würde. Vielleicht sogar Ruben. Doch alle schwiegen.
    «Die Götter haben dich geduldet, all die Jahre. Doch sie wollten nicht, dass du Kazike wirst. Wir werden alle sterben.» Sie riss den Mund weit auf, als wolle sie sich in Rage reden – und verstummte. Gewöhnlich scheuten sich die Frauen nicht, mit den Männern zu streiten, was in ohrenbetäubendes Gezeter ausarten konnte. Aber

Weitere Kostenlose Bücher