Die Bucht des grünen Mondes
sie dort draußen zischte und dröhnte.
«Frau», wandte sich Ta’niema an Amely. «Kannst du uns sagen, was das schwarze Wesen heute Nacht tun wird, wenn wir angreifen?»
«Nichts, gar nichts.»
«Nichts?», schnaubte Pytumby ungläubig. Es war ihm anzusehen, dass er am liebsten aus dem Wald gestürmt wäre, mitsamt gespanntem Bogen. So fassungslos sie waren, ihre Glieder zitterten nicht aus Furcht, sondern Empörung.
«Nein, nichts. Aber die Menschen könnt ihr nicht besiegen. Reicht es nicht, die gefangenen Ava zu befreien?»
«Sterben sollen alle Ambue’y!», fauchte Ku’asa und ballte eine Faust vor dem Gesicht.
Ruben hob die Hand. «Aber sie hat ja recht. Ich schlage vor, dass wir uns in der Dunkelheit anschleichen. Das ist halbwegs ungefährlich, denn die Sinne der
Anderen
sind des Nachts wie die neugeborener Kinder.»
«Dann können wir sie auch töten!»
«Nein! Sie ersinnen allerlei Gerätschaften, um ihre Schwächen auszugleichen. Sind sie wach, haben sie auch Licht und gefährliche Waffen. Wir werden leise und schnell wie die Ameisen sein. Und allein die Gefangenen befreien.»
«Und dann?»
«Dann sind wir vierfach so viele; wir ziehen uns zurück und beraten weiter. Und jetzt ruhen wir uns aus und essen etwas.» Ruben lächelte. «So handelt doch ein vernünftiger Mann, oder nicht?»
«Das ist es, was mir Sorge macht», brummte Pytumby. «Dass
du
das vorschlägst.»
Sie aßen Früchte und Larven, die sie gesammelt hatten. Kein Wort mehr wurde über das verloren, was sie gesehen hatten. Nacheinander legten sie sich schlafen. Niemand hielt Wache – ihr stets wacher Instinkt würde sie warnen. Amely war alles andere als müde. Unweit fand sie eine kleine Lichtung, die ein umgestürzter Umbauba geschaffen hatte. Sorgsam prüfte sie den Stamm und setzte sich darauf. Hier ließ sich gut nachdenken – doch in ihrem Kopf war nur Wirrniss. Der Anblick der Baustelle hatte anderes in ihr ausgelöst als bei den Männern. Eine unangenehme Vertrautheit. Als habe ihre eigene Vergangenheit diese Schneise geschlagen, und jenes monströse Gefährt sei nicht wegen des Kautschuks gekommen, sondern ihretwegen.
Ein blauer Schmetterling ließ sich in ihrer Nähe nieder. Ein
Morpho menelaus
. Sie hielt ganz still. Das hübsche Tierchen flog auf, flatterte vor ihrer Nase herum und über ihre Schulter. Amely drehte sich, sah es jedoch nicht mehr. Als sie sich wieder umwandte, stand Ruben vor ihr. War er es, der so unverhofft auftauchte, erschrak sie nie. Sie umschlang seine Mitte und legte die Wange auf seinen Bauch. Er kraulte ihren Nacken.
«Warum schläfst du nicht?», fragte sie.
«Weil ich gar nicht vorhabe zu kämpfen.»
Erstaunt hob sie den Kopf. Das klang gut – zu gut, um wahr zu sein. An ihrer Seite ließ er sich nieder und legte die Hand auf ihre. «Ich habe einen anderen Plan», sagte er leise. «Die anderen sollen davon nichts wissen. Sie würden mich aufzuhalten versuchen. Ich hoffe nur, sie sind vernünftig genug, nicht mehr anzugreifen, nachdem sie gesehen haben, was geschehen ist.»
«Um Gottes willen, Ruben, was denn?»
«Ich werde zu den Ambue’y gehen und ihnen sagen, wer ich bin. Diese Männer arbeiten doch für meinen Vater, oder?»
«Ja.»
«Du wirst ihnen bestätigen, dass ich es bin. Ich befehle ihnen, die Gefangenen freizulassen. Das … dieses …», er rang um Worte, aber diese Vorgänge waren ihm zu fremd. Er deutete in Richtung der Baustelle. «Was sie dort tun – das aufzugeben, werde ich ihnen wohl nicht befehlen können. Dazu muss ich erst auf meinen Vater einwirken. Der ja vermutlich nicht hier ist. Also muss ich mit dir zurück in die große Stadt.»
«Aber, Ruben …»
«Mir ist klar, dass ich vielleicht verliere, was mich zu einem Yayasacu macht.» Seine Finger krampften sich um ihre, dass es schmerzte. «Aber ich bin bereit, das zu riskieren.»
Himmel, was redete er da? Seine Blauäugigkeit entsetzte sie. «Ruben! Du kannst nicht einfach aus dem Wald laufen und sagen, wer du bist. Sieh dich doch an! Wer soll das denn glauben?»
«Du wirst es ihnen sagen.»
«Und wer soll
mir
glauben?»
Doch, einer täte es
, dachte sie. Aber der würde sich über das Auftauchen eines lebenden Ruben Wittstock nicht freuen. Sie nahm seine Finger in beide Hände und rieb sie fahrig. «Und wenn es so wäre: Kilian wird niemals auf dich hören.»
«Weshalb nicht? Ein Mann, sofern er nicht dumm ist, achtet den angemessenen Wunsch seines Sohnes. Ich bin nicht mehr der
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