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Die Bucht des grünen Mondes

Die Bucht des grünen Mondes

Titel: Die Bucht des grünen Mondes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Isabel Beto
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Junge, den er verprügelt hat. Ich bin ein Mann und Krieger. Das wird er erkennen.»
    «Du denkst wie ein Ava. Gerade das macht so gefährlich, was du tun willst.» Die Haare wollte sie sich raufen über so viel Unverstand. Er kannte Kilian nicht mehr! Er wusste nicht, dass sein Vater seine Erinnerung an ihn in einem leeren Grab verscharrt hatte. Wie würde Kilian reagieren, stünde sein Sohn vor ihm? Betrinken würde er sich, tagelang; und was er danach täte, vermochte sie sich nicht vorzustellen. Dass er Ruben in die Arme schloss, war nur die beste von vielen Möglichkeiten. Doch auf Ruben hören? Niemals.
    Und dann war da noch Felipe. Er hatte auf Ruben geschossen. Vielleicht hatte er ihn nicht erkannt damals am Igarapé do Tarumã-Açú. Aber sie traute ihm zu, seinen Versuch zu wiederholen. Oh, allzu gut erinnerte sie sich an seine so heftig geäußerten Worte während der Bootsfahrt im Hafen von Manaus:
Wittstocks Vertrauen zu missbrauchen, wäre das Letzte, was ich täte. Ich würde töten für ihn!
    Und ganz sicher würde er auch töten für sich.
    «Amely!» Ruben packte ihren Kopf auf seine gewohnt forsche Art. «Welche Gedanken plagen dich? Du bist bleich, als hättest du den Chullachaqui gesehen.»
    Bitte geh nicht, bitte geh nicht
, wollte sie flehen. Er zog sie an sich und bettete ihren Kopf auf seiner Schulter.
    «Du weißt so wenig», wisperte sie in sein Ohr. Sein versehrtes, auf dem er es nicht hören würde. «Ich habe dir so wenig erzählt … dass Gero starb. Deine Mutter … Ich war so feige. Aber ich hätte dir überhaupt nichts sagen sollen. Nicht, wer du bist.»
    Still weinte sie, bis sie müde war. Dann löste sie sich von ihm und sah ihn an. Er strich ihr über die erhitzte Wange.
    «Es ist alles so verfahren», sagte sie matt. Ein blauer Fleck flatterte in ihrem Augenwinkel und verschwand wieder. «Weißt du noch, der
Morpho menelaus
im Glas? Man sieht ihn und möchte denken, dass er lebendig ist. Aber er ist tot. Und wenn er es nicht wäre, so wäre er zur Bewegungslosigkeit verdammt. Gerade so fühle ich mich: gefangen in all den Schwierigkeiten. Ich weiß mir keinen Rat. Aber versprich mir, bitte, bitte, mach das nicht.»
    Sie traute ihm zu, sie jetzt von sich zu stoßen, zum wilden Falken zu werden und loszustürmen. Seine Muskeln spannten sich an; seine Miene verhärtete sich. Er öffnete den Mund, als wolle er schreien. Doch dann sagte er nur kehlig: «Lass uns heute Nacht noch einmal mit den Männern darüber reden.»
    Innerlich seufzte sie. Dabei würde nichts Gescheites herauskommen.
    Alles nur wegen dieses dummen Kautschuks!
    Er stemmte sich hoch und machte ein paar Schritte durchs Unterholz. An einem morschen Ast rüttelte er so lange, bis er ihn in den Händen hielt. Seine nächsten Schritte waren lautlos.
    Kautschuk … Das Wort weckte etwas. So schwer greifbar wie alles, was aus ihrem alten Leben kam. Sie raufte sich die Haare. In der Zauberwelt des Urwalds war die Vergangenheit tatsächlich wie von Geistern geschaffen. Wie an einer Schlingpflanze musste sie sie aus verschütteten Tiefen zerren. Dann hatte sie den Gedanken gepackt. Es war nicht mehr als ein Hoffnungsschimmer.
    Aber es ist die einzige Hoffnung
.
    «Ruben, was tust du denn da?»
    Er war im Begriff, den Stamm einer Akazie hinaufzuklettern. Auf einem querstehenden Ast kauerte er sich hin und winkte Amely zu sich. Wie sie so zu ihm hochblickte, erinnerte er sie tatsächlich an einen Falken, der sich gleich in die Lüfte erheben wollte.
    «Ruben, lass mich die Sache in die Hand nehmen. Ich weiß vielleicht eine Möglichkeit, wie man Kilian Einhalt gebieten kann. Ihr befreit nur die Ava und zieht dann weit fort.»
    «Ist es Yacurona, die da spricht?»
    «Ich bin es.»
    «Was willst du tun?»
    «Zu deinem Vater zurückkehren.»
    «Zu dem, der dich ins Glas gesperrt hat? Sieh her, Amely.»
    Er schob einen Arm ins Blätterwerk. Reckte sich vorsichtig, ohne sich aufzurichten. So blieb er lange Zeit erstarrt, den Finger der anderen Hand vor dem Mund, damit Amely sich nicht rührte. Ganz unverhofft rüttelte er an einem verborgenen Ast. Hellblaue Lichtflecken wirbelten daraus hervor, wie von einem Pinsel verspritzt. Dutzende, nein, Hunderte blauer Schmetterlinge, manche groß wie ihre gespreizte Hand, stoben aufgeschreckt ins Licht. Sie umschwirrten ihn. Hockten sich gar auf seine Schultern und in sein Haar. In diesem Augenblick erschien er ihr wie eines jener mythischen Urwaldwesen. Und hatte sie noch ein Zweifel

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