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Die Bucht des grünen Mondes

Die Bucht des grünen Mondes

Titel: Die Bucht des grünen Mondes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Isabel Beto
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sind in diesem Wald, in den ihr wollt. Sie ernten dort den Kauchu. Und wenn sie Kauchu wollen, sollte man ihnen nicht in die Quere kommen.»
    Erregtes Gemurmel erhob sich unter den Versammelten. «Lasst uns zurückkehren», rief jemand. «Der Dschungel ist riesig, wir finden überall Orte, an denen wir leben können.»
    «Unser Stamm ist klein; wir brauchen nicht viel Platz.»
    Eifrig pflichteten ihnen die anderen bei. Als es still wurde, erhob sich Ruben. «Unser Stamm darf auf gar keinen Fall in ihre Nähe kommen. Sie würden uns alle töten und unsere Frauen verschleppen. Kuñaqaray sai’ya spricht ja die Wahrheit, ihre Gier nach Kauchu ist unendlich groß.»
    «Was, beim großen Tupan, wollen sie damit? Blasrohre abdichten?»
    Ruben machte eine ärgerliche Handbewegung, die Pytumby das Wort abschnitt. «Wenn wir uns ganz sicher fühlen wollten, müssten wir einen Ort finden, an dem weit und breit kein
weinender Baum
wächst. Aber das ist nicht möglich. Was also geschieht mit uns in der Zukunft?»
    «Das ist die Welt der Geister», murmelte Oa’poja, und alle nickten.
    «Sollen wir ihnen aus dem Weg gehen, immer wieder, bis es eines Tages nichts mehr gibt, wohin die Ava ziehen können? Ihr habt mich schon einmal in die Geist-Welt des Morgen geschickt, und nur deshalb erfuhren wir von der Gefahr. So mutig müssen wir noch einmal sein.»
    «Was willst du tun?», fragte Amely mit bangem Herzschlag. Hundert Augen richteten sich auf sie, teils missbilligend, dass sie sich geäußert hatte, teils neugierig.
    Nachdenklich rieb er sich ein knochennadelbestücktes Ohr. «Das weiß ich vielleicht, wenn ich dort bin. Aber hingehen, mir ansehen, was sie dort tun – das muss ich.»
    «Du bist verrückt», unterbrach ihn einer der Männer sofort.
    «Wie üblich», ergänzte Pytumby. Er hielt Amely noch immer fest im Griff. «Aber ich komme mit.»
    «Ich ebenso.» Ku’asa stemmte sich hoch.
    Weitere Männer erhoben sich, bis Amely zwölf zählte. Dann hob Oa’poja rasch den Arm. «Mehr können wir nicht entbehren. Bringt Epena, ruft mit euren Schlegeln die Götter und Geister, dass sie euch beistehen. Morgen brecht ihr auf. Die Frau nehmt mit.»
    Entsetzt starrte Amely Ruben an. Wusste er wirklich nicht, was in jenem Wald auf sie wartete? Nein, er konnte es nicht wissen. Vielleicht erinnerte er sich nicht einmal, was eine
Eisenbahn
war.

7. Kapitel
    In ihrer Erinnerung war eine Lokomotive ein schönes Gefährt. Ehrfurchtgebietend, Schnelligkeit und Zukunft versprechend. Gerne hatte sie als junges Mädchen die einfahrenden Züge beobachtet, sich mit wohligem Schaudern die Ohren zugehalten und die Schultern hochgezogen, wenn die Lokomotive mit Getöse und Gepfeife einfuhr und den Dampf um die Beine der Wartenden blies. Sie hatte sich ausgemalt, wohin all die Leute wollten, die Damen, die Mühe mit ihren Pelzmänteln hatten, wenn sie sich die Stufen hochwuchteten, und die Herren mit den glänzenden Gehstöcken, die sich linkisch bemühten, ihnen zu helfen. An Zeitungsjungen erinnerte sie sich, wie sie an den Gleisen entlangflitzten und die unterschiedlichsten Blätter durch die Zugfenster reichten. An Schaffner mit glänzendem Wichs an den Uniformen; an Verkäufer mit Trauben und Äpfeln auf ihren Bauchläden; an Drehorgelspieler in Fracks; an Familien, die freudig von den verschnörkelten und immer kalten Gusseisenbänken aufsprangen und Ankommende begrüßten.
    Eine Lokomotive inmitten einer hässlichen Schneise im Dschungel war nicht schön. Sie war ein groteskes Ungeheuer.
    «Vantu …», raunte Pytumby neben ihr und schüttelte den Kopf. Der Vantu als das schlimmste Wesen in der Vorstellungskraft der Yayasacu wurde diesem Anblick nicht gerecht. Die anderen Männer – und Tiacca – schwiegen. Es kam Amely ewig vor, dass sie wie erstarrt im Buschwerk versteckt kauerten. Am Morgen hatten sie mit den verbliebenen Booten über den Weißen Fluss gesetzt, unweit eines Hafens. Und waren, verborgen im Wald, der Schneise gefolgt.
    Fast schnurgerade führte das Gleis über trockengelegte und aufgeschüttete Bachläufe hinweg – als wollte Kilian beweisen, dass er sich nichts und niemandem unterwarf, auch nicht der Landschaft. Noch war das neue Kautschukgebiet nicht erschlossen. Allein die Lok mitsamt Tender stand auf dem Gleis, nur wenige Meter vor dessen Ende. Es lag auf einem Bett aus Zweigen und Lehm. Einige Dutzend Arbeiter mühten sich ab, den Damm zu verlängern.
    «Was, bei den Geistern, tun sie da, Frau?» Ku’asa

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