Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Bucht des grünen Mondes

Die Bucht des grünen Mondes

Titel: Die Bucht des grünen Mondes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Isabel Beto
Vom Netzwerk:
rüttelte an Amelys Schulter.
    Wie um alles in der Welt sollte sie jemandem ein solches Gefährt erklären, der noch nicht einmal das Rad kannte? «Sie bahnen einen Weg für dieses …», ihr fiel keine indianische Entsprechung für
Ungetüm
ein. «Es wird den Kauchu aus dem Wald holen und zum Fluss bringen.»
    «Du musst dich irren», knurrte Pytumby an ihrer anderen Seite. «Kein Mensch oder Gott, auch kein Ambue’y, würde den Wald niederhauen, um Kauchu zu holen.»
    «Seht nur, die Tiere», flüsterte Tiacca. «Sind das die
Pferde
aus den Legenden?»
    «Ja, irgendwie schon», sagte Amely. Es waren nur Maultiere, die vor mehreren Karren standen, von denen die Männer die Bahnschwellen herunterwuchteten und ordentlich stapelten.
    «Und die Männer dort? Die haben sich vollständig mit Jenipapo eingeschmiert? Wozu?»
    «Sie sind so. Es sind Schwarze.»
    Auch Chinesen und natürlich Brasilianer sah sie. Dutzende Männer waren um das Gleisbett bemüht, vermaßen es ständig und stampften es fest. Andere brachten auf Schubkarren Berge von Zweigen und Lehmklumpen vom Rand des geschändeten Waldes und luden sie auf der Baustelle ab. Es wurde gebrüllt, gesungen, und von irgendwoher kam das hässliche Geräusch der Peitsche.
    «Wir müssen darüber die Geister befragen», sagte Ta’niema. «In der Nacht, wenn die
Anderen
und ihr Wesen schlafen, rufen wir sie.»
    Als jüngster und kräftigster der Schamanen war er mitgekommen. Und oft während der Reise war es ihm gelungen, die Sorgen seiner Stammesbrüder mit Tänzen und Gesängen zu mildern. Nun aber war sein glattes Gesicht wie das eines Kindes, das vor etwas Unerklärlichem steht. Zum ersten Mal seit langer Zeit fühlte Amely wieder Ärger über die Allmacht der Geister in sich aufwallen.
    Sie hörte, wie Ruben hinter ihr ein Stück weiter schlich. «Seht euch das an!»
    Alle folgten ihm geduckt durchs Unterholz. Die Männer stießen üble Flüche aus. Amely kämpfte sich über kniehohe Wurzeln und schob Bananenblätter beiseite. Weiter voraus auf der schnurgeraden Strecke standen Männer bis zu den Schenkeln in einem Kanal, den sie offenbar schaufelten, um das Wasser eines störenden Bachlaufs umzuleiten. Von oben bis unten waren sie mit schlammigem Auswurf beschmutzt. Am Rand der Grube stolzierten Aufseher. Sie waren es, die mit den Peitschen knallten. Und jene, die schufteten, dass ihre Muskeln zitterten, waren allesamt Ava.
    Einer lag bäuchlings auf der Erde, das Gesicht vollständig im Schlamm. Er rührte sich nicht.
    Das Entsetzen der Yayasacu glaubte Amely fast auf der Haut zu spüren. «Alle Götter und Geister müssen wir heute Nacht anrufen», sagte Ruben düster. «Und dann …»
    Ein schrilles Pfeifen ließ alle zusammenfahren. Es kam von der Lok. Aus einer Reihe von Zelten, die den Damm säumten, kamen weitere Männer. Sie schoben ihre Hüte zurecht, um sich vor der prallen Sonne zu schützen, und strebten dem wie ausgefranst wirkenden Ende des Gleisbettes entgegen. Die Arbeiter eilten sich, zurückzutreten, und nutzten die Pause, um Lederflaschen und Kalebassen in gierig aufgerissene Münder und auf verschwitzte Köpfe zu leeren. Ein Mann stieg auf den Damm, stellte sich breitbeinig vor dem metallenen Schienenräumer auf und gab dem Lokführer ein Zeichen. Dumpf dröhnte die Maschine auf; zischend schossen weiße Dampfwolken aus dem Schornstein. Meter für Meter kroch das Ungetüm vorwärts, ihm entgegen. Die Anderen hatten sich an den Seiten verteilt und prüften, eingehüllt von austretendem Dampf, die Strecke. Rückwärts schritt der Mann über die Gleise, als sei es undenkbar, dass er stolpern könne.
    Amely sah sein Gesicht nicht. Doch sie erkannte ihn mühelos.
    Felipe da Silva Júnior.
    Felipe, der mich belogen hat. Felipe, der Ruben angeschossen hat
. Sie schlang die Arme um sich.
Felipe, der mich geküsst hat
.
    Ihr war, als täte sich der Boden unter ihr auf und sie stürze eine Ewigkeit abwärts, zurück in die Vergangenheit. Ihr Magen hob sich. Fast wäre sie tatsächlich gefallen, doch Ruben hielt sie fest.
    «Was hast du?»
    «Nichts», sagte sie kehlig. «Ich bin nur davon … genauso erschrocken wie ihr.»
    «Komm.» Er zog sie mit sich zurück in den schützenden Wald. Sie stapfte neben ihm her; auch die anderen folgten. Als sie sich sicher wähnten, kauerten sie beieinander auf der Erde. Betretenes Schweigen setzte ein. Hier im Busch war das Getöse der Lok nicht gar so laut; dennoch zuckten die Jäger immer wieder zusammen, wenn

Weitere Kostenlose Bücher